Wortbeitrag an der Pressekonferenz vom 17. April 2020 von Tamara Funiciello, Vizepräsidentin der SP Schweiz und Co-Präsidentin der SP Frauen*.
Die Corona-Krise zeigt es deutlich: Ein bedeutender Teil der gefährlichen und oft schlecht bezahlten Jobs, die die Gesellschaft am Laufen halten, erledigen Frauen. Und sie erledigen den Löwinnenanteil der unbezahlten, überlebensnotwendigen Care-Arbeit. Die Frauen sichern in der Krise unser Überleben, und sind gleichzeitig sehr stark von der Krise betroffen:
Erstens, weil Frauen überdurchschnittlich in gesellschaftlich notwendigen Arbeit tätig sind. So sind rund 86% der Pflegefachpersonen, 92% aller Kinderbetreuer*innen, zwei Drittel der 300’000 Detailhandelsangestellten und ebenso viele Beschäftigte in Apotheken in der Schweiz, Frauen. Diese Heldinnen haben uns durch die Krise getragen, gleichzeitig sind genau diese Branchen schlecht bezahlt und unterfinanziert.
Zweitens sind Frauen speziell von der Krise betroffen, weil sie häufiger in schlecht bezahlten oder prekären Branchen arbeiten wie Gastronomie, Hotellerie, Reinigung, Coiffeusen. Alles Tätigkeiten, die nicht im Homeoffice gemacht werden können, Tätigkeiten, die dadurch besonders hart von der Krise betroffen sind und schon vorher schlecht bezahlt war
Und drittens, weil wenn es dann um Lösungen geht, Frauen nicht nur vergessen werden, so wie aktuell bei den Kitas, sondern es wird bei ihnen im Nachgang der Krise sogar abgebaut! Das haben wir in der Zeit nach der Wirtschaftskrise Die Krise führte bei Bund und Kantonen zu einer rigorosen, bürgerlichen Abbaupolitik. Betroffen waren genau die Bereiche, die jetzt in der Krise überlebenswichtig sind: Den Service Public, also zum Beispiel die Pflege, Kinderbetreuung und Bildung. Sie wurden zusammengekürzt und teilweise privatisiert. So hat es Frauen gleich doppelt getroffen: Sie verlieren nicht nur ihre Jobs, werden schlecht bezahlt oder haben schwierige Arbeitsbedingungen, sondern müssen oft auch die Güter und Dienstleistungen ersetzen, die nicht mehr auf dem Markt gekauft werden können bzw. vom Staat aufgrund von Budgetkonsolidierungen nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Zwölf Jahre nach der Finanzkrise müssen wir sagen: Diese Form der Konjunkturprogramme führt uns in eine andere Krise – in eine Care-Krise.
Auch dieses Mal greifen alle grossen Parteien ausser der SP wieder auf altbackene Rezepte für die Nach-Corona Zeit zurück, die die Care Arbeit und damit auch die Frauen aussen vorlassen. Und genau darum braucht es die SP.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass im Nachgang der Krise Frauen, Care-Arbeit und sogenannte Frauenberufe, die systemrelevant sind, ins Zentrum des Konjunkturprogrammes rücken, denn das dient der ganzen Gesellschaft und macht sie zukunftsfähig. Denn mit der demografischen Entwicklung kommen viele Herausforderungen auf uns zu, die genau die selben Bereiche noch stärker in den Fokus rücken werden.
Es braucht ein feministisches Konjunkturprogramm, das bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit ins Zentrum stellt. Wenn der Staat nun Geld investiert, um die Wirtschaft anzukurbeln, müssen diese Investitionen zwingend auch in den Care-Bereich fliessen. Das führt auch zu einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zu einem besseren Service Public, was gut für alle ist – und zu einer besseren Ökobilanz.
Konkret heisst das:
- Das Gesundheitssystem muss staatlich organisiert und ausreichend finanziert werden. Privatisierungen helfen uns nicht.
- Die Löhne sowie die Arbeitsbedingungen der Care Arbeiterinnen müssen endlich verbessert werden. Es gibt übrigens kein besseres Mittel, die Wirtschaft anzukurbeln als Tiefe Löhne zu erhöhen.
- Die SP fordert alle Arbeitgeber*innen im Care Bereich dazu auf,
die besonderen Anstrengungen ihrer Angestellten während der Corona-Krise zu honorieren, mit Geld oder zusätzlichen Ferien. - Last but not Least: Die Kinderkrippen! Die Corona-Krise zeigt nur zu deutlich auf, wie wichtig die familienergänzende Kinderbetreuung für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist und wie stark sie bisher vernachlässigt wurde. Ohne die unbezahlte Arbeit der Grosseltern, die nun ausfällt, könnten Tausenden von Frauen nicht einer bezahlten Arbeit nachgehen in diesem Land. Um für die Zukunft besser gewappnet zu sein, muss die Kinderbetreuung als Service Public behandelt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu muss sich der Bund finanziell viel stärker beteiligen. Denn Kitas sind Teil des Bildungssystems und müssen, wie die Volksschule, durch Steuermittel finanziert werden.
Applaus alleine reicht nicht, meine Damen und Herren, wir müssen endlich zahlen, was zählt – und das sind, wie uns die Corona-Krise eindrücklich zeigt, nicht die Headfondsmanager sondern die Pflegefachassistentin und die Kita Mitarbeiterin.
Wer allerdings gut durch die Krise kommt, ist die Immobilienbranche. Sie beteiligt sich aktuell ungenügend an der Bewältigung der Krise. Dabei ist für das Überleben der meisten Unternehmen der Umfang der Fixkosten entscheidend, zu denen in erster Linie die Mieten gehören. Wir fordern den Bundesrat auf, klare Regelungen zu treffen, die Mieterinnen und Mieter, die an der Berufsausübung gehindert sind, für die Dauer der vom Bund angeordneten Einschränkungen von der Mietzinspflicht bei gewerblichen Mietverhältnissen entbinden. Der Bund soll in besonders schwierigen Situationen eine ausserordentliche Unterstützung für Vermietende vorsehen.
Es ist inakzeptabel, wenn nur Pflegefachkräfte, Coiffeusen, Kitamitarbeiterinnen und Familien Opfer zur Überwindung der Krise bringen müssen, und die grossen Immobilienbesitzer_innen gleichzeitig keinen Beitrag leisten.