“Mir liegen die Migration und die Integration sehr am Herzen”

Am 7. Dezember hat der Jura als jüngster Kanton erstmals einen Sitz im Bundesrat erhalten. Gewählt wurde Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider, die als ehemalige Regierungsrätin, Leiterin einer Fachhochschule und Sozialarbeiterin die sozialdemokratischen Werte verkörpert und die Menschen im Land und deren Bedürfnisse aus erster Hand kennt. Wie hat sie die ersten Monate im Amt erlebt?

Elisabeth, du wurdest in den Bundesrat gewählt, obwohl dir die Medien nur geringe Chancen eingeräumt hatten. Was war dein erster Gedanke, als das Wahlergebnis bekannt gegeben wurde?
In dem Moment konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich verspürte vor allem Freude und Dankbarkeit für das Vertrauen, das mir die Bundesversammlung entgegenbrachte. Es ist mir eine grosse Freude und Verantwortung, meine Ideen in die Landesregierung tragen zu können. Und es stimmt: Meine Wahl war eine Überraschung. Aber sie war nicht zufällig.

Bestimmt ist deine Agenda seit Amtsantritt sehr voll. Wie hast du dich an den hektischen Arbeitsalltag als Bundesrätin gewöhnt?
Ich habe eine Wohnung in Bern und verfüge so über einen Ort, wo ich mich erholen kann. An das Leben als Bundesrätin habe ich mich sehr rasch gewöhnt. Das Amt verlangt einem sehr viel ab. Das wird wettgemacht durch die Freude am Amt und das Privileg, diese Verantwortung tragen zu dürfen. Ich wache jeden Morgen auf und freue mich darauf, mich den vielfältigen Aufgaben widmen zu dürfen und Strategien für mein Departement und für die Landesregierung zu erarbeiten.

Was war deine erste wichtige Entscheidung, die du als Bundesrätin getroffen hast?
Das verheerende Erdbeben, das Anfang Jahr die Türkei und Syrien getroffen hat, war ein prägender Moment. Ich habe damals sehr schnell Massnahmen beschlossen, um den Opfern zu helfen, die Verwandte in der Schweiz haben. Ausserdem war die Entscheidung wichtig, dass Geflüchtete aus der Ukraine ihre Ausbildung in der Schweiz beenden können.

Du bist immer wieder harter Kritik ausgesetzt, hauptsächlich von rechts. Warum?
Ich verkörpere die Solidaritätspolitik der SP, ich bin eine Frau, eine Romande und ich bin eine Kämpferin für unsere Anliegen – alles Faktoren, die nicht überall Beifall finden. Ausserdem ist die Migrationspolitik in meinem Departement angesiedelt, ein Thema, das für die Politik gewisser Parteien eine zentrale politische Rolle spielt. Die Kritik beeinflusst mich jedoch nicht besonders. Mir ist wichtig, meine humanitäre Haltung zu verteidigen und in der Bevölkerung mit Argumenten Verständnis zu wecken für diese gesellschaftlichen Fragen und die Achtung der Menschenwürde.

Einige Parteien spielen mit der Angst, indem sie behaupten, es gebe an der Landesgrenze massive Flüchtlingsströme. Gleichzeitig weigern sich dieselben Kreise, dich bei der Suche nach Lösungen zu unterstützen. Was tust du konkret in diesem Bereich?
In der Politik ist es zentral, dass sich Entscheidungen auf Fakten stützen und nicht auf Gefühle. Es ist eine Tatsache: Wir sehen derzeit eine starke Zunahme der Zuwanderung. Der Krieg in der Ukraine belastet das Asylwesen stark, und es ist eine Herausforderung, die Asylanträge mit der nötigen Sorgfalt zu bearbeiten. Wir brauchen daher genügend Ressourcen, um die Anträge schnellstmöglich zu behandeln. Die Schweiz ist in der Lage, Menschen aufzunehmen, die ein Recht auf unseren Schutz haben. Dabei müssen wir den Schwerpunkt auf die Integration legen, insbesondere in den Arbeitsmarkt.

International beobachten wir ein Erstarken von konservativen und reaktionären Bewegungen, deren Anhänger einige hart erkämpfte Rechte in Frage stellen, etwa das Recht auf Abtreibung. Auch in der Schweiz tauchen entsprechende Forderungen auf.
Es ist zunächst erfreulich, dass die Bevölkerung auf gewisse rückwärtsgewandte Forderungen nicht eintritt. Die Unterschriftensammlung zur Einschränkung des Rechts auf Abtreibung ist ja bekanntlich gescheitert. Ausserdem stellen wir fest, dass sich viele dieser reaktionären Bewegungen auf fragwürdige Argumente stützen. Umso mehr müssen wir faktenbasiert argumentieren. So sind wir erfolgreich. Dies zeigte sich beispielsweise bei der Verschärfung der Antirassismus-Strafnorm gegen Homophobie. Einige Kreise waren zunächst kritisch. In Gesprächen konnte aber die tatsächliche Bedeutung und Tragweite aufgezeigt werden, was schlussendlich zur Akzeptanz der Vorlage führte.

Das Parlament hat kürzlich einer Revision des Sexualstrafrechts zugestimmt. Was bedeutet das für die Opfer sexueller Gewalt?
Einer der wichtigsten Fortschritte besteht darin, dass die Definition von Vergewaltigung neu für alle Opfer sexueller Gewalt gilt, unabhängig von ihrem Geschlecht. Darüber hinaus stärkt dieses Gesetz das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Ebenso werden Präventionsprogramme gestärkt. Die Behörden müssen das Gesetz nun sorgfältig umsetzen. Es muss sichergestellt werden, dass die Opfer angehört und während des gesamten Prozesses – von der Anzeige bis zum Urteil – von Fachleuten begleitet werden.

Im Mai hast du zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut erklärt: «Der Kampf gegen Armut hat Vorrang.» Ist es in einem reichen Land wie der Schweiz nicht paradox, die Armutsbekämpfung priorisieren zu müssen?
Es mag seltsam scheinen, ist aber entscheidend. In der Schweiz verfügen wir im Allgemeinen über ein gutes soziales Netz. Doch leider fallen immer noch zu viele Menschen durch die Maschen. Einige machen ihre Ansprüche auf Unterstützung nicht geltend. Manche fürchten die Konsequenzen, wenn sie Sozialhilfe beziehen müssen: Scham spielt eine Rolle, und viele Ausländer:innen fürchten die Abschiebung. Oder sie wissen nicht, dass sie Anspruch auf Sozialhilfe hätten. Aus meiner eigenen Berufserfahrung weiss ich, dass der Bezug von Sozialhilfe immer noch stigmatisiert ist. Die Beträge sind bescheiden, Sozialhilfebezüger:innen müssen sich ständig rechtfertigen und werden von den Behörden überwacht. Viele Menschen leben nur knapp über der Armutsgrenze. Bereits eine kleine unerwartete Rechnung kann hier in die Verschuldung führen.

Am 1. August hast du die Jugend aufgerufen, sich politisch zu engagieren. Man könnte einwenden, dass sich junge Menschen in Vereinen, Bürgerbewegungen oder online einbringen. Sind es vielleicht die politischen Parteien, die überholt sind?
Mich fasziniert, wie die Jugend politisiert. Es motiviert, wenn sich junge Menschen vermehrt in Bürgerbewegungen engagieren, etwa beim 1. Mai, beim feministischen Streik oder bei den Klimademos. Ich sehe dazu aber keinen Wiederspruch zu einem Engagement in einer politischen Partei. Es braucht beides, damit fortschrittliche Kräfte Gehör finden. Es ist unsere Aufgabe, die Forderungen der Strasse – sozusagen die kollektive Intelligenz der Strasse – in die politischen Institutionen des Landes zu tragen. In meinen Augen sind politische Parteien keinesfalls veraltet. Die SP verzeichnet viele Beitritte von neuen und häufig jungen Genossinnen und Genossen. Was junge Menschen möglicherweise abschreckt, sind schwerfällige Parteistrukturen sowie die Diskrepanz zwischen ihren Ansprüchen und tatsächlichen Möglichkeiten, sich einzubringen.

Zu guter Letzt: Welche grossen Projekte willst du angehen?
Mit liegen die Migration und die Integration sehr am Herzen. Ich möchte den Zugang zu Bildung und damit zum Arbeitsmarkt erleichtern, denn Integration findet gerade bei der Arbeit statt. So können wir unserer humanitären Tradition folgen und gleichzeitig dem Arbeitskräftemangel begegnen.
Weiter möchte ich dazu beitragen, die Regeln für verantwortungsvolle multinationale Unternehmen voranbringen. Schweizer Regeln müssen auf internationaler Ebene harmonisiert werden können. Schliesslich liegt mir ein Projekt besonders am Herzen: Die Schaffung einer interkantonalen Plattform, die die Zusammenarbeit verschiedener Dienste im Bereich häuslicher Gewalt erleichtert. Es braucht noch viele Schritte, bis Opfer von häuslicher Gewalt bestmöglich geschützt, unterstützt und begleitet werden können.

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Animation laden...Animation laden...Animation laden...

Newsfeed

Du hast Fragen zur Mitgliedschaft oder dem Mitgliedschaftsformular? Wir helfen gerne.

Häufige Fragen

Am einfachsten, indem Du online das Beitrittsformular nebenan ausfüllst.

Du kannst selbst entscheiden, welches Engagement für Dich am besten passt.

  • Wenn Du wenig Zeit hast, ist es absolut in Ordnung, wenn Dein Engagement sich vor allem darauf beschränkt, Deinen Mitgliederbeitrag zu bezahlen. Auch das hilft uns sehr, um die Schweiz und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
  • Die Sektion, bei welcher Du Mitglied bist, wird Dich eventuell hin und wieder anfragen, ob Du Zeit hättest, bei einer Standaktion, einer Unterschriftensammlung oder einer Telefonaktion mitzumachen. Falls Dir das zusagt, sind wir sehr froh darüber – aber es ist natürlich völlig freiwillig.
  • Die meisten Sektionen führen regelmässig Mitgliederversammlungen durch, um die aktuellsten politischen Themen und Aktivitäten zu besprechen. Die Teilnahme daran ist natürlich ebenfalls völlig freiwillig. Aber es kann ein guter Ort sein, um neue Leute kennenzulernen.
  • Falls Dich ein Themengebiet besonders bewegt, kannst Du Dich in einer Themenkommission der SP Schweiz oder Deiner Kantonalpartei engagieren, oder in einer der Unterorganisationen wie den SP Frauen, den SP Migrant:innen, der SP 60+ oder der SP queer.
  • Häufig gibt es auch die Möglichkeit, ein partei-internes Amt, z.B. im Vorstand Deiner Sektion zu übernehmen.
  • Falls Du das möchtest, kannst Du mit Deiner Sektion auch Kontakt aufnehmen, um über eine Kandidatur für eine öffentliches Amt zu sprechen, z.B. in der Schulpflege Deines Wohnortes.

Um unsere Werte verteidigen zu können, braucht es finanzielle Mittel. Die SP ist eine Mitgliederpartei und schöpft ihre Stärke aus dem Engagement ihrer Mitglieder.
Die Mitgliederbeiträge werden von den Kantonalparteien und den Sektionen unterschiedlich festgelegt und sind abhängig von Deinem steuerbaren Einkommen. Wir folgen unseren eigenen politischen Forderungen: Wer wenig verdient, bezahlt wenig, und wer viel verdient, beteiligt sich mehr an den Kosten von Partei und Politik.
In der Regel fallen jährlich je nach Einkommen Kosten zwischen circa 80 und einigen Hundert Franken an. Die Mitgliederbeiträge werden jährlich erhoben.

Ja, selbstverständlich! Du kannst der SP beitreten, ohne den Schweizer Pass zu haben. Denn alle Menschen, die in der Schweiz leben, sollen in der Politik mitdiskutieren können.

Du hast verschiedene Möglichkeiten, Dich einzubringen. Wenn Du an Deinem Wohnort aktiv werden möchtest, wendest Du Dich am besten an die Sektion Deiner Gemeinde oder Deines Quartiers. Diese ist auch die richtige Anlaufstelle für den Einsatz in einem öffentlichen Amt (Gemeinderat, Schulpflege, Sozialbehörde…).
Du kannst Dein Wissen und Können auch innerhalb der Partei einbringen. Die SP sucht immer Leute, die sich in der Parteiorganisation engagieren (Gemeinde, Bezirk, Kanton, Themenkommissionen).

Melde Dein Interesse bei den Verantwortlichen Deiner Ortssektion an. Die Sektion nominiert SP-Kandidierende für öffentliche Ämter, sei dies für den Gemeinderat oder die lokalen Schul-, Sozial- oder Finanzbehörden. Die Ortssektion bildet oft auch für Ämter auf übergeordneter Ebene (Kantons- oder Grossrat) den Ausgangspunkt des parteiinternen Nominationsprozesses.

Abgesehen von der Zahlung des jährlichen Mitgliederbeitrags gehst Du keine Verpflichtungen ein. Voraussetzung für den Beitritt ist eine inhaltliche Nähe. Dies bedingt jedoch nicht, dass Du in allen Fragen mit der SP gleicher Meinung sein musst.

Die Statuten der SP Schweiz verbieten die gleichzeitige Mitgliedschaft in mehreren Schweizer Parteien.
Doppelbürger:innen können Mitglied der SP Schweiz und Mitglied einer ausländischen Schwesterpartei sein, beispielsweise der deutschen SPD oder des italienischen Partito Democratico. Die Mitgliedschaft bei der SP Schweiz ist für Angehörige von Schwesterparteien gratis, sofern sie belegen können, dass sie in ihrem Heimatland Mitgliederbeiträge an eine Sozialdemokratische Partei entrichten.

Ja. Auch im Ausland kannst du dich als Mitglied der SP Schweiz in die Politik einbringen. Wenn Du Deinen Wohnsitz im Ausland hast, wirst du automatisch Mitglied der SP International.

Für JUSO-Mitglieder besteht bis zum Alter von 26 Jahren die Möglichkeit einer kostenlosen SP-Mitgliedschaft. Ein entsprechender Antrag kann per Mail an [email protected] gestellt werden.

Das bietet Dir die SP

Was Du von der SP erwarten darfst.

Du bist nah dran an der Politik: Wir schicken Dir unsere Aufrufe, Newsletter sowie sechs Mal jährlich unser Mitgliedermagazin “links”. Du kannst Dich mit Gleichgesinnten vernetzen.

Du kannst von andern lernen und Dich mit Deinem Wissen und Können auf verschiedenen Ebenen in der Partei einbringen.
Gemeinsam schaffen wir eine bessere Zukunft!

Keine Demokratie ohne Bildung. Wir bieten Dir Webinare und Seminare zu Hintergrundwissen und aktuellen politischen Themen.