Der Regierungsrat wird beauftragt,
1. ein Versorgungskonzept für Menschen mit ASS zu erarbeiten, das
– die fehlende Transparenz bezüglich Unterstützungsangeboten behebt und für Fachpersonen wie auch Betroffene eine Übersicht zu den Unterstützungsangeboten schafft
– die Fallführung regelt, d. h. die Koordination der vorhandenen Angebote fördert, so dass
unklare Zuständigkeiten und Lücken, die durch Schnittstellen entstehen, beseitigt und die Betroffenen und ihre Familien unterstützt
– sicherstellt, dass eine bedarfsgerechte Diagnostik und Behandlung von Autismus– Spektrum–Störungen erbracht werden, um den Bedarf nach Abklärungen und Behandlung zu decken und Wartezeiten zu verkürzen– auch für französischsprachige Personen eine Abklärungsstelle und Behandlungsangebote sicherstellt
– die Sensibilisierung unter Fachpersonen und in der Öffentlichkeit fördert.
2. ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen für Weiterbildungsangebote sowie vermehrte Fachvertiefung ASS in Ausbildungsgängen von Berufsgruppen, die für die Betreuung und Förderung von Menschen mit ASS zuständig sind.Begründung:
Die heutige Situation bezüglich Abklärung und Beratung ist unbefriedigend und führt für die betroffenen Personen zu grossem Leid. Liegt der Verdacht einer Autismus-Spektrum-Störung
(ASS) vor, müssen betroffene Personen heute sehr lange auf eine fachgerechte Abklärung und Beratung warten. Oft haben sie vorher eine lange Odyssee von verschiedenen Abklärungen,
Therapien und teilweise auch stationären psychiatrischen Aufenthalten hinter sich, bis sie dann endlich an die «richtige» Stelle gelangen und eine Abklärung auf ASS erfolgt.Im Kinder-und Jugendbereich beträgt die durchschnittliche Wartezeit für Abklärungen bis zu ¾ Jahren, für Erwachsene beträgt die Wartezeit für eine Abklärung bis zu einem Jahr! Die Wichtig-
keit einer frühzeitigen Diagnostik ist für die Prognose bei Kindern mit ASS nachgewiesen. Im Erwachsenenalter erfolgen Anmeldungen für Abklärungen für ASS häufig in Krisensituatio-
nen, dierasches Handeln verlangen, um weitere psychische und psychosoziale Folgeprobleme zu verhindern. Gemäss internationalen klinischen Leitlinien für die Abklärung und Behandlung von ASS (NICE
Guidelines, S3 Leitlinien der AWMF1) soll die Abklärung bei Verdacht auf ASS durch eine darauf spezialisierte Stelle durchgeführt werden. Diese Diagnostik wird im Kanton Bern vorwiegend
durch die Universitäre Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Erwachsene),die Universitätsklinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der UPD und die Nathaliestiftung
Gümligen durchgeführt. Die personellen Ressourcen in diesen Institutionen sind aktuell ausge- schöpft und führen zu den erwähnten Wartezeiten. Ebenfalls fehlt eine Abklärungs-und Bera-
tungsstelle für französischsprachige erwachsene Personen. Nur durch eine frühzeitige, korrekte Diagnose können angemessene Fördermassnahmen zuge-
sprochen bzw. Fehlbehandlungen vermieden werden. Diesen Handlungsbedarf im Bereich Diagnostik stellt auch der Bundesrat in seinem Bericht fest. Die Diagnose hilft den Betroffenen und dem Umfeld, die andere Funktionsweise zu verstehen. Menschen mit ASS benötigen teilweise psychotherapeutische Unterstützung im Umgang mit ihren Besonderheiten und zur Behandlung von psychischen Begleit-und Folgeproblemen. Leider besteht noch kein Versorgungskonzept, und die Betroffenen und ihre Familien müssen sich selbst organisieren und Therapieangebote suchen. Die Abklärungsstellen haben für diese Beratung und Koordination keinen Auftrag oder können aus Kapazitätsgründen keine Langzeittherapien anbieten. Aktuell gibt es im Kanton zu wenig Therapieplätze für Menschen mit ASS, was lange Wartezeiten und fehlende Behandlung trotz Behandlungswunsch zur Folge hat. Dies obwohl nachgewiesen ist, dass der Therapieerfolg massgeblich von einer Beratung und Koordination der Angebote abhängt und von einer zentralen Stelle mit spezifischem Wissen und Kenntnissen zu den vorhandenen Förder-und Unterstützungsangeboten geleitet werden sollte (Seite 22, Bericht Bundesrat). Durch das Fehlen eines solches Angebots im Kanton Bern findet keine Fallführung statt, und viele Betroffene erhalten nicht die nötige Unterstützung. Heute hängt die Unterstützung davon ab, wie gut sich die Betroffenen in den unterschiedlichen Systemen auskennen, Angebote finden und sich organisieren können. Dies führt dazu, dass Betroffene sehr unterschiedliche Hilfen erhalten. Meist sind die Unterstützungshilfen an eine Institution oder Einrichtung (Schule) gebunden und fallen bei einem Systemwechsel wieder weg. Bei jedem Systemwechsel müssen wieder neue Unterstützungshilfen gesucht werden. Um Personen mit einer autistischen Wahrnehmung adäquat behandeln und betreuen zu können, ist ein autismusspezifisches Wissen unerlässlich. Dazu sollten im Kanton Bern ausreichende Ausbildungsangebote für alle Berufsgruppen, die mit Menschen mit ASS arbeiten, zur Verfügung gestellt werden. Obwohl Autismus heute einer «Modediagnose» gleichkommt, sind das Wissen und die Forschung dazu erst in den 1990er–Jahren in der Schweiz angekommen. Daher sind erst in wenigen Kantonen (Waadt, Tessin und Jura) Behandlungskonzepte entwickelt worden, und es besteht in vielen Kantonen ein Nachholbedarf. Betroffen sind die Bereiche: Früherkennung, Diagnostik, Beratung und Koordination, Schule, berufliche Ausbildung und Arbeitsmarktintegration sowie Wohnen. Begründung der Dringlichkeit: Die heutige Situation mit Wartefristen bis zu einem Jahr ist für Betroffene und ihre Familien unzumutbar. Sie brauchen Klarheit über die Diagnose, um die Problematik zu verstehen. Sie brauchen Beratung, um die richtige Behandlung zu bekommen. Fehlt dies, kann das Potential von Kindern nicht ausgeschöpft werden. Bei Personen im Erwerbsleben oder beim Übertritt ins Erwerbsleben entstehen auf diese Weise grosse Probleme bezüglich der Leistungen der Invalidenversicherung und der Rückkehr oder dem Eintritt in die Arbeitswelt.