Der Regierungsrat wird beauftragt, mit folgenden Massnahmen für ausreichend Abwechslung in der Tagesstruktur und für soziale Teilhabe zu sorgen:
- In den Rückkehrzentren ist mit ausreichend Fachpersonal für eine altersgerechte abwechslungsreiche Tagesstruktur für Kinder und Jugendliche zu sorgen und, wo dies nicht möglich ist, Zugang zu externen Angeboten zu gewährleisten.
- Um Unterstimulation und damit einhergehende Entwicklungsrisiken zu verhindern, ist für alle Kinder im Vorschulalter mit negativem Asylentscheid der Zugang zu Angeboten der frühen Kindheit zu gewährleisten.
- Kindern und Jugendlichen ist die bedürfnis- und altersgerechte Teilnahme an ausserschulischen Aktivitäten zu ermöglichen.
Begründung:
Aktuell sind 111 abgewiesene Asylsuchende im Kanton Bern minderjährige Kinder oder Jugendliche. Nicht wenige von ihnen haben einen Grossteil ihres Lebens im Nothilfesystem und damit in Rückkehrzentren verbracht. Dies bringt für die Betroffenen grosse Risiken mit sich: Eine umfassende Analyse der Situation in der Schweiz durch das Marie-Meierhofer-Institut für das Kind (MMI)[1] zeigt, dass die Lebensumstände in der Nothilfe im Asylbereich die Gesundheit und die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen gefährden.
In den besuchten Rückkehrzentren haben die MMI-Forscher*innen zahlreiche Kinder und Jugendliche angetroffen, die aufgrund der fehlenden Tagesstrukturen und der damit einhergehenden Langeweile lethargisch und abgestumpft waren. Dies kann zu grossen psychischen Belastungen mit entsprechend hohen Folgekosten führen. Markus Aeschlimann, ehemaliger Geschäftsleiter des Amts für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern, der für den Bericht interviewt wurde, sieht das Problem neben Vorschulkindern vor allem bei Jugendlichen, die die obligatorische Schule abgeschlossen haben, aufgrund des Arbeitsverbots jedoch keine beruflichen Perspektiven haben.
Die soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in Rückkehrzentren auch im Kanton Bern ist erschwert, unter anderem durch die oft sehr abgeschiedene Lage der Unterkünfte. Insbesondere Kinder unter vier Jahren sind durch die isolierende Unterbringung in den Unterkünften und durch den spärlichen Zugang zu Angeboten der frühen Kindheit einer Unterstimulation und somit erheblichen Entwicklungsrisiken ausgesetzt. Dies hat für den Kanton Bern auch der Bericht der nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF)[2] bestätigt, dessen Empfehlungen der Kanton zu einem grossen Teil nicht umgesetzt hat. In seiner Antwort auf die Interpellation Patzen «Kinderrechte im Asylwesen besser schützen» (055-2024) vertritt der Regierungsrat die Haltung, dass es primär Aufgabe der Eltern sei, sich um die Bedürfnisse ihrer Kinder zu kümmern. Dafür brauchen Familien jedoch Ressourcen wie Geld, Wissen um und Zugang zu Angeboten, über die abgewiesene Asylsuchende meist nicht verfügen. Für diese Ressourcen zu sorgen, liegt in der Verantwortung des Kantons.
Es gibt im Kanton Bern auch positive Ansätze, die jedoch aufgrund der fehlenden Ressourcen meist auf wenige Kinder oder Tage beschränkt sind: So versuchen Betreuerinnen und Betreuer in einigen RKZ nach Möglichkeit ein Spielangebot für Kinder anzubieten, für wenige Kleinkinder sind Spielgruppenbesuche möglich, die Platzzahl in den Gruppen ist jedoch beschränkt. Fachpersonen mit spezifischem Fokus auf die Bedürfnisse der Kinder sind nur punktuell anwesend. Die meisten Aktivitäten für Kinder und Jugendliche sind nur dank Freiwilligen möglich. Der Zugang zu altersgerechten Angeboten der Frühförderung (Spielgruppen, Kitas usw.) und ausserschulischen Aktivitäten für Kinder und Jugendliche (Sport, Musik, Pfadi usw.) muss effektiv und nicht nur theoretisch umsetzbar sein. Hier muss der Kanton Verantwortung übernehmen.
Dass es möglich ist, Kindern und Jugendlichen auch ausserschulische Aktivitäten zu ermöglichen, zeigt z. B. der Kanton Waadt, der Kindern und Jugendlichen, die einen Teamsport ausüben möchten, die nötige Ausrüstung zur Verfügung stellt.
Ein Rechtsgutachten der Universität Neuenburg[3] hält fest, dass die Lebensbedingungen der Kinder in der Nothilfe im Asylbereich nicht mit der schweizerischen Bundesverfassung und der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar sind. Die körperliche, geistige und soziale Entwicklung Kinder wird auch in den Rückkehrzentren des Kantons Bern zu wenig geschützt. Indem der Kanton Bern hier Verantwortung übernimmt, kann er auch hohe Folgekosten im Gesundheits- und Sozialbereich vermeiden.
[1] Kinder und Jugendliche in der Nothilfe im Asylbereich – Systematische Untersuchung der Situation in der Schweiz, EKM 2024; https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/89806.pdf
[2] «Überprüfung der Rückkehrzentren des Kantons Bern durch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF)» Mai – August 2021
[3] «Das Nothilferegime und die Rechte des Kindes», EKM 2023; https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/89808.pdf