Die queere Bewegung steht weltweit besonders durch den Rechtsrutsch unter Druck. Wie wirkt sich das konkret auf queere Menschen in der Schweiz aus?
Max Kranich: Wir sehen, dass Gewalt gegen queere Menschen zunimmt – sowohl online als auch offline. Zudem verbreiten rechte Strömungen gezielt Desinformation über unsere Community. Dadurch entstehen falsche Vorstellungen, die wir immer wieder korrigieren müssen. Auch ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit nimmt zu. Viele meiden Orte, die früher sicher waren, und Organisationen müssen sich plötzlich fragen, ob sie Security für Veranstaltungen brauchen.
Jasmin Bärtschi: Ich sehe in meinem Umfeld, dass queere Menschen psychisch stark belastet sind. Die Angst, errungene Sicherheiten zu verlieren, ist real. Wir erleben es in den USA, wo Geschlechtseinträge von trans Personen auf Dokumenten einfach wieder rückgängig gemacht wurden. Allein der Umstand, dass wir ständig darüber nachdenken, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf Europa haben werden, bindet viele Ressourcen. Und neue realpolitische Erfolge rücken in weite Ferne.
Was sind die grössten Herausforderungen für die queere Community in der Schweiz?
Jasmin Bärtschi: Die Finanzierung queerer Angebote. In vielen europäischen Ländern gibt es staatlich finanzierte Beratungsstellen, Schutzplätze oder Regenbogenhäuser. In der Schweiz wird fast alles durch Spenden und freiwillige Arbeit aufrechterhalten. Das ist nicht nachhaltig.
Max Kranich: Und selbstverständlich der angesprochene rechte Backlash. Wir sehen, dass anti-woke Rhetorik in gewissen Medien übernommen wird. Der Diskurs verschiebt sich, sodass es plötzlich legitim scheint, die Rechte von trans Personen infrage zu stellen. Das ist brandgefährlich und zeigt sich in den steigenden Zahlen der Gewalttaten gegen queere Personen.
Warum ist das binäre Geschlechtermodell, das nur Frau und Mann kennt, für die Rechte so wichtig?
Jasmin Bärtschi: Weil es mit dem Patriarchat verknüpft ist. Wenn Geschlechterrollen aufgebrochen werden, wird auch die traditionelle Vorstellung von Familie und Gesellschaft hinterfragt. Herkömmliche Vorstellungen von Geschlecht sind eng mit Hierarchien zwischen Mann und Frau verbunden. Wenn sich Personen nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde – zum Beispiel trans Personen – stellt dies auch diese Hierarchie und das entsprechende Rollenverständnis in Frage. Deshalb sehen wir, dass Parteien wie die SVP oder AfD gezielt gegen non-binäre und trans Personen hetzen.
Die Rechte stellt Forderungen nach allgemeinem Gendern und drei WCs als «Woke-Gaga» dar.
Max Kranich: Wir kennen alle seit Jahrzehnten die geschlechtsneutralen WC in den SBB-Zügen … Es ist einfacher, gewisse Anliegen ins Lächerliche zu ziehen, als unsere grundsätzliche Forderung nach Sicherheit für queere Menschen ernst zu nehmen.
Welche Schwerpunkte setzt ihr als künftiges Co-Präsidium der SP queer?
Max Kranich: Widerstand gegen den rechten Backlash ist zentral. Wir wollen Hoffnung schaffen, denn ohne Hoffnung gibt es keinen politischen Aktivismus und keine bessere Zukunft.
Jasmin Bärtschi: Zudem setzen wir uns für die rechtliche Anerkennung non-binärer Personen ein. Momentan gibt es keinen passenden Geschlechtseintrag für sie. Hier müssen wir eine Lösung finden, die der Lebensrealität non-binärer Menschen gerecht wird, aber den Staat nicht geschlechterblind macht. Die Bürgerlichen warten nur darauf, Gesetze wieder abzuschaffen, die von Feminist:innen für Frauen erkämpft worden sind. Wir sehen das beispielsweise am bürgerlichen Widerstand gegen bezahlbare Kita-Plätze oder daran, dass regelmässig Initiativen gegen das Recht auf Abtreibung lanciert werden. Wir sehen den Bundesrat hier in der Pflicht, Fakten und rechtlich Sicherheit für alle zu schaffen, ohne dabei unterschiedliche Personengruppen gegeneinander auszuspielen.
Welche queerpolitischen Themen sind aktuell in der SP besonders präsent?
Max Kranich: Die SP queer und die SP engagieren sich stark für die queere Community. In Zürich haben sie beispielsweise erfolgreich gegen die Anti-Genderstern-Initiative gekämpft.
Jasmin Bärtschi: Auch Gesundheitspolitik ist wichtig. Die medizinische Versorgung von trans Personen muss verbessert werden. Hier gibt es noch viel zu tun.
Warum braucht es überhaupt eine SP queer innerhalb der SP?
Jasmin Bärtschi: Obwohl die Ursachen für die Diskriminierung queerer Personen ähnlich sind wie bei anderen Minderheiten, ist die Erfahrung sehr spezifisch. Wir finden es wichtig, Minderheiten eine Plattform zu bieten, um über diese Diskriminierungen und auch mögliche Lösungsvorschläge zu diskutieren. Denn nur wenn diese Erfahrungen geteilt werden, sprechen wir auch über mögliche Lösungen. Max Kranich: Und weil eine solidarische Gesellschaft nur dann funktioniert, wenn wir alle mitdenken – uns queere Menschen eingeschlossen.
Was hat euch persönlich motiviert, euch zu engagieren?
Max Kranich: Ich habe erlebt, wie viel wir bewegen können, wenn wir organisiert sind. Und ich will daran mitarbeiten, dass die SP ein Ort ist, wo sich möglichst viele Leute organisieren, und dazu gehören selbstverständlich auch die Queers.
Jasmin Bärtschi: Ich will, dass sich alle queeren Menschen in der SP queer aufgehoben fühlen. Dass wir uns gegenseitig unterstützen und füreinander sorgen. Queere Fragen sind auch sozialdemokratische Fragen.
Könnt ihr das etwas ausführen?
Jasmin Bärtschi: Weil sie direkt mit sozialer Gerechtigkeit zusammenhängen. Queere Menschen sind überdurchschnittlich oft von Armut betroffen, haben erschwerten Zugang zu Wohnraum oder Gesundheitsversorgung und sind häufiger in prekarisierten Arbeitsverhältnissen. Eine sozialdemokratische Politik, die sich für soziale Absicherung, faire Löhne und bezahlbaren Wohnraum einsetzt, hilft also ganz direkt auch der queeren Community.
Max Kranich: Zudem stehen queere Rechte immer im Zusammenhang mit gesellschaftlichem Fortschritt. Die SP war schon immer die Partei des Fortschritts und der sozialen Inklusion. Queere Menschen fordern nicht nur gleiche Rechte, sondern auch strukturelle Veränderungen, die allen zugutekommen – etwa in der Familienpolitik oder im Arbeitsrecht. Eine Gesellschaft, die Minderheiten einbindet, ist insgesamt gerechter und stabiler. Deshalb gehört queere Politik zur sozialdemokratischen DNA.