Auslöser des europäischen Unmuts, der den Bundesrat zum Handeln zwang, war die doppelzüngige Steuerpraxis, wie sie in den meisten Kantonen betrieben wird: Auf die Gewinne der Kapitalgesellschaften in der Schweiz wird ein normaler Steuersatz angewendet, es gibt aber einen «Sonderstatus», der zu massiven Abschlägen bei der Berechnung der Gemeinde- und Kantonssteuern berechtigt . Diese Abschläge sind reserviert für Gewinne, die im Ausland erzielt und in die Schweiz transferiert werden. Man spricht hierbei von «Ring Fencing», was man auf Deutsch mit «Ringförmige Umzäunung» übersetzen könnte (das impliziert: der «Zaun» wird schützend um diese Erträge gelegt, sie werden steuerlich privilegiert).
Die Europäische Union steigt ganz zu Recht auf die Hinterbeine, denn was die Schweiz veranstaltet, ist nichts anderes als Dumping: Sie bietet diesen ausländischen Unternehmen einen sehr niedrigen Steuersatz, der im Hinblick auf das Budget in keiner Weise zu vertreten wäre, wenn er auch auf die einheimischen Unternehmen angewendet würde. Diese weit verbreitete Praxis trägt verständlicherweise zur Irritation unserer Wirtschaftspartner bei, denn sie führt dazu, dass die Hälfte der in der Schweiz versteuerten Gewinne aus dem Ausland stammt – Gewinne, die vom «Ring Fencing» profitieren. Nebenbei gesagt ist die Praxis völlig diskriminierend: Es ist überhaupt nicht einzusehen, wieso ein einheimisches Unternehmen zweimal mehr Steuern bezahlen soll als ein multinationales.
Die Kantone und Gemeinden könnten die eigenen Gewinnsteuern wahlweise entweder drastisch reduzieren oder völlig aufheben.
Der Bundesrat beabsichtigt, einen stillschweigenden Weg aus dem Dilemma zu finden: Das «Ring Fencing» soll aufgehoben und durch andere, kurzfristig weniger schockierende Kniffe ersetzt werden. Weil sich damit der vergleichsweise sehr niedrige Steuersatz für multinationale Unternehmen nicht aufrechterhalten lässt, regt der Bundesrat die Kantone dazu an, den üblichen Steuersatz für Unternehmen zu senken . Sämtliche Unternehmen sollen so zum Satz besteuert werden, der aktuell für die multinationalen Unternehmen gilt.
Ein Zahlenbeispiel: Typischerweise zahlt ein Multi mit Sonderstatus gegenwärtig insgesamt 12 Prozent Steuern auf dem Gewinn – unabhängig von seinem Standort in der Schweiz. Ein Zürcher oder Waadtländer KMU hingegen zahlt 22 bis 24 Prozent. Wenn nun Kantone mit einer mittleren oder hohen Steuerbelastung ihren Steuersatz auf 12 Prozent senken und dieser Satz künftig für alle Unternehmensarten gilt, stehen diese Kantone vor einem Zusammenbruch ihres Budgets . Wenn sie die Senkung nicht mitvollziehen, sehen sie sich mit einem Exodus der multinationalen Unternehmen in Richtung jener Kantone konfrontiert, die schon heute mit einem Steuersatz um die 12 Prozent locken. Was auch noch erwähnt werden soll: Im Vergleich dazu ist das Risiko, dass die Unternehmen ins Ausland abwandern, um einiges geringer. Man muss schon nach Zypern oder Bulgarien gehen, um vergleichbare tiefe ordentliche Steuersätze zu finden.
Der Vorschlag des Bundesrates folgt auf den ersten Blick einer glasklaren Logik, in Wirklichkeit aber ist er arg kontraproduktiv. Die Schweiz ist kein Entwicklungsland, das sich gezwungen sieht, die tiefsten Steuersätze in die Runde zu werfen. Im Gegenteil: Das Land leidet vielmehr unter übermässiger Attraktivität , was zu einer Überhitzung auf dem Wohnungsmarkt und zu übertriebenen migratorischen Spannungen führt. Wir von der SP verfolgen deshalb einen anderen, viel pragmatischeren Ansatz, der uns hocherhobenen Hauptes aus dem Dilemma führen soll.
Der Bundessteuersatz für Unternehmen beträgt nominell zurzeit 8,5 Prozent, die Zahl stellt einen Bundessockel dar, der auf ausnahmslos alle Unternehmen angewendet wird. Wir schlagen vor, den Bundessockel auf nominell 16 Prozent zu erhöhen , was einem effektiven Steuersatz von ca. 14,5 Prozent entspricht. Der Bund soll die daraus resultierenden, zusätzlichen Einnahmen nicht für sein eigenes Budget verwenden, sondern sie vollumfänglich, entsprechend der jeweiligen Bevölkerungsanteile, der Anzahl Arbeitsstellen und der Zentrumslasten an die Kantone und deren Gemeinden weitergeben. Die Kantone und Gemeinden könnten die eigenen Gewinnsteuern wahlweise entweder drastisch reduzieren oder völlig aufheben. Auf jeden Fall würden die Gewinne, seien sie nun im Ausland oder in der Schweiz erzielt worden, allesamt mindestens in der Höhe des Bundessockels von 14,5 Prozent besteuert; in den Kantonen und Gemeinden, die eine kleine lokale Steuer beibehalten möchten, mit zusätzlichen 2 bis 3 Prozent. Diese Lösung bietet mehrere entscheidende Vorteile:
- Der globale Unternehmenssteuerertrag wäre mit dem heutigen vergleichbar, ohne Einbussen für die öffentlichen Kassen, damit wäre es auch nicht mehr nötig, die Mehrwertsteuer oder die Steuern für natürliche Personen zu erhöhen.
- Der Steuersatz wäre im internationalen Vergleich attraktiv, ohne exzessiv tief zu sein oder weiterer Kritik Vorschub zu leisten.
- Um das «Ring Fencing» abzuschaffen, bräuchte es keine neuen Kniffe, die auf internationaler Ebene umgehend kritisiert würden.
- Für einheimische Unternehmen in Kantonen mit einem mittleren oder hohen Steuersatz, d.h. in Kantonen mit den Wirtschaftszentren oder in gewissen Randkantonen, würde dieser Ansatz eine substanzielle Steuersenkung bewirken.
- Die Verminderung der Steuereinnahmen auf den Gewinnen von einheimischen Unternehmen würde kompensiert durch das Anheben der multinationalen Unternehmen auf den Sockel von 14,5 Prozent (oder ein wenig höher in Wirtschaftszentren, die aber andere Trümpfe ausspielen können).
Mathematisch gründet diese Lösung auf einer sehr einfachen Logik: Indem dem exzessiven Steuerwettbewerb in der Schweiz ein Riegel geschoben wird, werden die nötigen finanziellen Mittel freigesetzt, die es braucht, um einen nachhaltigen und zu keinen weiteren Schäden führenden Ausweg aus den Dilemma zu finden – mit einem in der ganzen Schweiz attraktiven Steuersatz.
Das einzige Hindernis auf dem Weg zur Umsetzung dieses Lösungsansatzes ist ideologischer Natur: Eine Mehrheit muss eingestehen, dass der Steuerwettbewerb unter den Kantonen in seiner gegenwärtigen Form tatsächlich exzessiv ist. Mit anderen Worten: Man muss ein Tabu brechen. Zurzeit sieht es nicht danach aus, als würde der Bundesrat dabei mitmachen. Die Kantone ihrerseits, hin- und hergerissen zwischen engstirnigem Kantönligeist und ausgewogenem Föderalismus , halten immer noch am Glauben fest, sie könnten sich auf eine gerechte Verteilung des Kuchens einigen. Dieser Kuchen schrumpft allerdings, und das gleich um mehrere Milliarden – diesen Spagat werden die Kantone nicht schaffen. Wie lange wird es dauern, bis die Kantone dem Bundesrat eine Erhöhung des Bundessockels vorschlagen werden? Die Wettbüros sind eröffnet…