Die einzige Partei des Mittelstandes ist die SP

Weil die SP keine Milliarden als Steuergeschenk an gut situierte Familien verteilen will, schrieb ihr der Tages-Anzeiger ein «Problem mit dem Mittelstand» an den Hals. Ein zwar origineller, weil neuer Vorwurf, mit der Realität hat er jedoch wenig zu tun. Ein Blick in die SP-Wahlplattform zeigt, dass sich keine Partei mehr für den Mittelstand einsetzt als die SP.

Der «Mittelstand» ist der heilige Gral der Schweizer Politik. Niemand weiss, wie er genau aussieht, alle bemühen sich um ihn und wer ihn auf seiner Seite hat, dem ist die Macht sicher. Auch die etwas verstaubte orange Tante CVP will mit dem «Mittelstand» ihr Image im Wahljahr aufpolieren. Ihr simples Rezept: Man nehme eine Milliarde und verteile sie an Familien, die man für mittelständisch hält. Das Dumme dabei: Da diese Verteilung über die Steuern passiert, geht jene Hälfte der Familien, die wegen ihres tiefen Einkommens gar keine Bundessteuern bezahlt, auf Ebene Bund schon mal leer aus. Mittelstand à la CVP bedeutet also die wohlhabenderen 50 Prozent. Da macht die SP nicht mit und lehnt die Steuerbefreiungsinitiative von Kinder- und Ausbildungszulagen – die CVP nennt sie allerdings verfälschend und beharrlich Familieninitiative – deshalb ab.

Mittelstand à la CVP bedeutet also die wohlhabenderen 50 Prozent.

Absurd wird die Geschichte nun, wenn man der SP gestützt auf Zahlen einer von der Stiftung CH2048 aufgewärmten Studie daraus ein «Problem der SP mit dem Mittelstand» kreiert. Fragwürdig auch darum, weil die Stiftung eine HSG-Studie aus dem Jahre 2011  herangezogen hat, deren Datenbasis mehr als fragwürdig ist, weil sie auf Stichproben von wenigen Tausend Haushalten ohne die höchsten und tiefsten Einkommen (der HABE-Studie) beruht. Die Stiftung CH2048 relativiert das alles mittlerweile selbst und will aktiv Forschung zu den Umverteilungsmechanismen anstossen. Das ist gut so, denn der erste Versuch war mehr als kontraproduktiv.

Zurück zur SP und dem «Mittelstand». Erstens: Die SP macht keine Klientelpolitik, sondern eine Politik für alle statt für wenige. Das zeigt unsere politische Arbeit seit Jahren. Zweitens: Definiert man «Mittelstand» als «mittlere Einkommen», so finden sich in der SP-Wahlplattform 2015 mehrere ganz handfeste Forderungen, die auf genau diesen «Mittelstand» zielen:

  • Löhne: Gleiche Löhne für Frauen und Männer – das ist echte Familienförderung. So lohnt sich Teilzeit-Arbeit und steigt das Familieneinkommen.
  • Wohnen: Die Wohnkosten fressen einen grossen Teil des Haushaltsbudgets auf. Bei Neubauten müssen 30 Prozent für gemeinnützigen Wohnungsbau und Genossenschaften reserviert werden, damit Wohnen bezahlbar bleibt.
  • Kitas: Alle reden von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Doch solange Kitas und Tagesschulen teuer und knapp sind, wird nichts daraus. Deshalb sind wir für flächendeckende und kostenlose Tagesschulen.
  • Krankenkasse: Die Prämien für die Krankenkasse sind für viele Familien höher als die Steuern. Das System der Prämienverbilligungen müssen wir so anpassen, dass die Prämien nicht mehr als 10 Prozent des Haushaltseinkommens ausmachen.
  • Renten: Das Alter darf kein Armutsrisiko sein. 10 Prozent höhere AHV-Renten garantieren die Fortführung des gewohnten Lebensstandards auch nach der Pensionierung.
  • Steuern: Börsengeschäfte besteuern und nicht in erster Linie die Arbeit, darum wollen die Börsensteuer (auch bekannt als Tobin Tax oder Finanztransaktionssteuer). Damit schaffen wir Einnahmen für die Finanzierung unserer Vorhaben.

Und das Wichtigste zum Schluss: Wenn der «Mittelstand» tatsächlich materiell gefährdet sein sollte, so ganz sicher nicht durch jene Menschen, die noch weniger haben, sondern durch jene, die viel mehr haben. Es ist ein schwerer Fehler, Menschen mit tiefen Einkommen gegen Menschen mit mittleren Einkommen auszuspielen, wie es einzelne Exponenten der Stiftung CH2048 versucht haben. Wer das tut, schreibt – ob gewollt oder nicht – die Erzählung der nationalkonservativen Rechten eins zu eins weiter.

Wenn der «Mittelstand» tatsächlich materiell gefährdet sein sollte, so ganz sicher nicht durch jene Menschen, die noch weniger haben, sondern durch jene, die viel mehr haben.

Das wahre Verteilungsproblem ist hingegen im gleichen Tagi-Artikel zu finden: In den letzten 20 Jahren sind die höchsten Einkommen um bis zu 30 Prozent gestiegen, alle anderen Löhne nur um bis zu 15 Prozent. Eine gerechte Verteilungspolitik muss dort ansetzen, wo das Geld im Überfluss vorhanden ist und nicht den «Mittelstand» mit Abstiegsängsten zur Abwehrschlacht gegen die Armen aufhetzen. 

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