Am 10. Dezember war der Internationale Tag der Menschenrechte. Er erinnert an den 10. Dezember 1948, an dem die UN-Generalversammlung die «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte» verabschiedet hat. Die Welt stand damals noch stark unter dem Eindruck der Gräuel, die im Namen der Nazi-Ideologie und ihrer Vorstellung einer überlegenen «Herrenrasse» begangen worden waren.
Die Menschenrechts-Charta ist ein starkes Bekenntnis dazu, dass allen Menschen auf unserem Planeten die gleichen Rechte zustehen «ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.» Aber die Erklärung ist – wie es ihr Titel schon andeutet – «nur» ein moralisches Bekenntnis, von welcher sich kein individuell einklagbares Recht ableiten lässt.
Anders sieht es bei der Europäischen Menschenrechtskonvention aus. Die ist zwar knapp 2 Jahre jünger als die UN-Erklärung, dafür ist die Verletzung der durch sie garantierten Rechte von jedem Menschen in den Unterzeichnerstaaten individuell einklagbar. Für Schweizerinnen und Schweizer gilt dies übrigens erst seit 1974 – unser Land brauchte fast ein Vierteljahrhundert, bis es sich zum Beitritt entschliessen konnte. Und noch heute sind nicht alle Zusatzprotokolle von der Schweiz ratifiziert. Mit den sozialen Rechten tut sich die rechte Mehrheit dieses Landes immer noch sehr schwer. Da geht das Geschäft noch immer vor Gerechtigkeit.
Mit den sozialen Rechten tut sich die rechte Mehrheit dieses Landes immer noch sehr schwer. Da geht das Geschäft noch immer vor Gerechtigkeit.
Wenn wir von Verletzung der «Menschenrechte» reden, denken die Meisten wohl an totalitäre Staaten. Und an Konflikte, bei denen jede Grausamkeit begangen wird, um die eigene Position zu stärken. Doch wir brauchen nicht nach Afrika, den Nahen Osten oder den Orient zu schauen, um zu begreifen, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, wenn die Gemüter in Wallung geraten.
Gerade im Zusammenhang mit der Herausforderung durch den islamistischen Terror gibt es immer wieder erschreckende Entgleisungen, auch bei uns. Da fantasieren selbst Politikerinnen aus der «bürgerlichen Mitte» von flächendeckenden Razzien bei Muslimen und Ausgehverboten für alle, die an Allah glauben. Ganz zu schweigen von den widerlichen Vernichtungsfantasien, die in den sogenannten «sozialen Medien» geäussert werden. Politiker, die sich selber «liberal» nennen, plädieren für eine Totalüberwachung aller Bürgerinnen und Bürger. Sie haben vergessen, was Benjamin Franklin gesagt haben soll: «Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.»
Die modernen Menschenrechte sind eine der grossen Leistungen des aufgeklärten Bürgertums. Dabei ist ausdrücklich nicht «Menschengnaden», sondern von «Menschenrechten» die Rede. Menschenrechte sind keine Schönwetter-Veranstaltung, sie sind nichts, was man sich von Fall zu Fall «leistet». Menschenrechte sind die geistige Grundlage unserer modernen Zivilisation.
Menschenrechte gelten für alle. Und immer.
Besonders störend ist es deshalb auch, wenn selbsternannte Verteidiger des «christlichen Abendlandes» und «unserer Werte» die Menschenrechte unter Dauerfeuer nehmen, um ihre trübe politische Suppe zu kochen. Menschenrechte gelten für alle. Und immer.
Bis vor wenigen Jahren haben in der Schweiz nur religiöse und politische Splittergrüppchen öffentlich gegen die Menschenrechte agitiert. Das hat sich leider geändert. Unterdessen sind gleich zwei SVP-Initiativen hängig, die mehr oder weniger offensichtlich darauf hinzielen, die Menschenrechte ganz oder teilweise ausser Kraft zu setzen. Über die erste davon, die sogenannte «Durchsetzungsinitiative», stimmen wir bereits in wenigen Wochen ab. Ich wünsche mir, dass sich am 28. Februar 2016 die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger daran erinnern, dass Menschenrechte nicht nur am Sonntag und bei Sonnenschein gelten.