Wir kennen in der Schweiz sämtliche Kuhnamen und die Anzahl Schafe, aber einen jährlichen Einkommensverteilungsbericht haben wir nicht. So kommt es denn auch, dass man sich darüber streitet, ob wir überhaupt ein Einkommens-Verteilungsproblem in der Schweiz haben. Beigezogen wird beispielsweise die OECD Einkommensstatistik, die den Gini-Koeffizienten ausweist für verschiedene Länder. Diese zeigt, dass sich für die Schweiz der Gini kaum verändert hat. Das wird unverifiziert in der SRF-Wirtschafts-Sendung Eco erzählt und dann in verschiedenen anderen Sendegefässen einfach unbesehen übernommen. Die OECD Statistik beruht aber nicht auf knallharten Steuerdaten, sondern auf Haushaltsbefragungen. (Für die Schweiz mit miserablem Rücklauf). Erstens sind Haushaltsbetrachtungen nicht geeignet, um Einkommensunterschiede zu zeigen. Zweitens werden da selbstredend die extrem hohen und extrem tiefen Einkommen unterberücksichtigt: Personen, die Spitzeneinkommen erzielen, werden wohl an der Befragung nicht teilnehmen, was ebenso für Personen mit extrem tiefen Einkommen gilt, die zum Beispiel der Befragungssprache nicht mächtig sind. Und drittens wissen die Befragten oft über die eigene Situation wenig Bescheid (welches Einkommen gibt man an? Brutto- Netto- Steuerbares etc.). Es ist also (nett formuliert) für diese wichtige Debatte fahrlässig, sich auf solche Daten zu stützen.
Besser geeignet sind da Steuerdaten oder Daten von Lohnstrukturerhebungen, wo die Arbeitgeber die Löhne anzugeben haben. Diese Daten zeigen, dass die Einkommensschere deutlich und in hohem Tempo aufgegangen ist. So zeigt sich, dass die Spitzenlöhne weit über der Arbeitsproduktivität gestiegen sind während die mittleren und unteren Löhne deutlich hinter der Produktivität zurück bleiben. Vor allem haben die allerhöchsten Löhne der 1% profitiert. Dabei nicht berücksichtigt sind insbesondere auch die überproportional gestiegenen Kosten von Mieten und Krankenkassenprämien, die gerade die mittleren Einkommen besonders hart treffen. So verwundert es auch nicht, dass sich die Zahl der Lohnmillionäre zwischen 1997 und 2010 mehr als vervierfacht hat. Der durchschnittliche Höchstlohn in den börsenkotierten Grosskonzernen betrug 2011 durchschnittlich 4,77 Millionen Franken. Normale Arbeitnehmende müssten dafür 66 Jahre arbeiten. Die grossen Verlierer sind vor allem die Berufsleute.
Die zentrale Frage ist, wie lässt sich das erklären? Sind die Top ein Prozent Spitzenverdienenden plötzlich so viel produktiver geworden? Leisten sie ganz plötzlich so viel mehr? Tragen sie grössere Risiken oder mehr Verantworteung? Oder sind sie gar knapper geworden, obwohl in globalisierten Märkten die Auswahl grösser ist? Für all dies gibt es keinerlei Hinweise. Erklären lässt sich dies aber damit, dass sich Spitzendiener in Managerkartellen (Lohnausschüssen) die Löhne selber und gegenseitig festlegen. Zudem, darauf weisen verschiedene Wissenschafter hin, ist die Akzeptanz gegenüber exsessiven Spitzenlöhnen gestiegen. Es sei halt einfach so, das sei eben Folge der Globalisierung, man fände dies auch nicht gut aber da könne man eben nichts machen. Diese Überhöhung auf die Stufe der Naturgesetzlichkeit rechtfertig aber die Löhne keineswegs.
Ist es eine Eigenheit unserer jüngsten Zeit, das solche Verhältnisse nicht mehr erklärt und begründet werden müssen? In unserer Gesellschaft müssen sich Menschen legitimieren, die wenig haben und zum Beispiel ALV, Sozialhilfe oder AHV-Zustzleistungen beziehen. Detailiert müssen sie Auskunft geben über ihre Situation und ihren Bedarf und alles begründen. Sie müssen sich dem Generalverdacht aussetzen, faul zu sein und sich auf der sozialen Hängematte auszuruhen. Sollten sich nicht vielmehr Gruppen legitimieren, die Einkommen auf sich konzentrieren?