Dieses Missverständnis, diese Verkennung des Charakters des 1.Mai hat viel mit dieser Ohnmacht, mit dem politischen Verlorensein dieser vielen zu tun. Denn der 1.Mai ist der Tag, an dem jene, die von ihrer Arbeit leben, zusammen kommen und nachdenken, diskutieren. Selten war das gemeinsame Nach-, Vor- überhaupt das Denken so wichtig wie heute. Das erkennt man daran, wie viele kapitulieren vor der sogenannten „Komplexität“ der heutigen geselschaftlichen Realitäten und meinen, früher sei alles einfacher und übersichtlicher gewesen. Alleine kann man nicht alles. Vielleicht kann man alleine reich werden. Doch den Durchblick schaffen wir alleine nie. Vom Handeln ganz zu schweigen.
Wir brauchen eben die Diskussion mit anderen Kollegen, Freunden, Genossen, gerade auch wenn sie andere Erfahrungen machen und andere Perspektiven sehen, um miteinander der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen und merken zu können, wie wir wo ansetzen können, um die Verhältnisse ins Lot zu bringen, das Unrecht, das vielen angetan wird, abzubauen.
Alleine kann man politisch nur verzweifeln. Um das, was an politischer Macht in ins steckt zu entwickeln und wahrzunehmen, müssen wir uns mit Aehnlichgesinnten zusammentun. In welcher Form auch immer; sie ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass wir nicht glauben, alleine etwas ausreichen zu können. Ja wir brauchen sogar diese Gemeinsamkeit, um den Durchblick zu finden, die Voraussetzung zum gemeinsamen Handeln.
In dem Sinne dürfen wir die ernsthafte Diskussion nicht unterschätzen. Sie ist mit dem Konsum von televisionären Talkshows und anderen eitlen Anpöbeleien nicht zu verwechseln. Die Qualität einer Diskussion erkennt man daran, ob alle Beteiligten klüger nach Hause gehen als sie waren , als sie mit der Diskussion begonnen hatten. Damit sich etwas verändert, muss es erst diskutiert, von allen Seiten ergründet werden. Deshalb brauchen wir die Gemeinsamkeit. Sonst können wir nicht vernünftig handeln. Alleine sind wir nicht nur schwach, wir sind hilflos.
Gemeinsam können wir aber eine Kraft entwickeln, die selbst Felsen aus dem Weg räumen kann, selbst wenn diese mit viel Geld verankert worden sind.
Einige Beispiele
- Alleine übersehen wir, dass es am 9.Juni bei der Abstimmung um die Wahlform des Bundesrates keineswegs um mehr Demokratie geht. Was uns vorgeschlagen wird ist nicht die Krönung der Direkten Demokratie, sondern deren Schwächung. Denn die Güte der DD macht die Auseinandersetzung um die Sache aus; hier wird uns vorgegaukelt wir müssten wieder mehr über Personen reden, welche jenen, die mit ihnen zusammenarbeiten müssen, viel besser bekannt sind als jenen, die sie mit vielen Millionen Franken Werbegeldern erst angepriesen werden müssen.
- Gemeinsam merken wir, dass sich ohne Europa heute kein grosses echtes politisches Problem besser lösen liese als mit ihm. Dies gilt von der Umweltbelastung bis zur Arbeitslosigkeit, von der Verlagerung der Güter auf die Schiene bis zum Ausgleich der Lebenschancen zwischen Europa und Afrika, der Ursache des zu viel an Migration.
Doch wenn wir genau über Europa nachdenken und auch dessen Geschichte erkennen, dann merken wir, dass die EU umgebaut werden muss, damit sie dies im Interessen aller EuropäerInnen wirklich leisten kann. Und umbauen heisst, die EU auf die Basis einer echten föderalistischen Verfassung stellen, welche dafür sorgt, dass die Menschen und ihre Nöte nicht länger überhört werden können.
Dafür müssen aber dann diese Menschen auch was tun. Denn mehr Demokratie und Freiheit wird nie pfannenfertig ins Haus geliefert. Damit müssen sie es aber erst begreifen. Dann merken sie, dass wir die Demokratie nur stärken können, wenn wir sie transnational ausweiten und neu einrichten. Der Nationalstaat ist längst zu klein geworden für eine starke Demokratie. So wie eine Telefonkabine zu klein ist, damit ein Messi oder von mir aus ein Lewandowski ihre Kunst entfalten können.
Ueberhaupt, in unseren notwendigen geinsamen Diskussionen können wir heute merken, dass die Entmachtung der Politik und der Arbeit während letzten zwei Jahrzehnte zugunsten der Macht der Märkte und vor allem des Finanzkapitals nur aufgehalten werden können, wenn mehr Menschen merken, dass sie es in der Hand haben, das Primat der Politik, das heisst die Freiheit aller, wieder herzustellen.
Doch dafür müssen wir und sie, gemeinsam, was tun. Wir müssen handeln. Auf allen Ebenen, auch und vor allem der europäischen. Deswegen braucht es die europäische Verfassung. Eine bessere Verteilung der Macht.
Nur so können wir verhindern, dass die Wirtschaft einfach eine ganze Generation vergisst in Arbeit zu nehmen. Auch uns Schweizern geht es schlecht, wenn weiterhin fast die Hälfte der jungen Griechen, Spanier, Italiener oder Türken ohne Erwerbsarbeit darben müssen. Eine europäische Demokratie würde auch für eine europäische Arbeitslosenversicherung schaffen, die so zu finanzieren wäre, dass es dem Kapital zu teuer würde, junge Menschen von der Erwerbsarbeit auszuschliessen und ihnen so die Freiheit zu nehmen, das Leben nicht als Schicksal erleiden zu müssen.
Wir könnten noch Dutzende von Quellen von Unrecht und Ungerechtigkeiten ansprechen, die es gemeinsam nachdenkend zu durchschauen gälte um so herauszufinden, was wir tun müssen, um die Verhältnisse zu ändern.
Es gibt so viel zu tun, es kommt auf jeden an, tatsächlich – und selbstverständlich reicht ein 1.Mai im Jahr nicht aus, Um zu leisten, was zu tun ist. Doch am 1.Mai sollten wir uns eben in Erinnerung rufen, dass wir gemeinsam politisch stark sein und handeln können. Und dass wir die anderen auch brauchen für eine gute Diskussion , welche die Voraussetzung für die weise Entscheidung, was wie am besten getan werden kann. Und so können wir merken, dass wir an jedem Tag des Jahres ein Stück des Tages für einen kleinen 1.Mai frei halten sollten, zum Nachdenken, diskutieren und handeln. Das heisst also, die Kernidee des 1.Mai ist nicht nur nicht veraltet, sie ist moderner und angemessener als die meisten von uns sich bewusst sind. Warten wir also nicht bis zum nächsten ersten Mai, sondern denken wir jeden Tag daran, dem Grundmotiv des 1.Mai entsprechend zu handeln. Dann können wir die Schweiz so umbauen, dass sie uns allen eine wirkliche Heimat bietet und sie auch tagtäglich dem Bild annähert, das wir so gerne von ihr zeichnen. Sie hat uns nötiger als je !