Analyse: Wahlsieg trotz Rechtsrutsch

Die SP hat national 1,5 % an Wählerstimmen zugelegt und fast 1000 Mitglieder gewonnen. Das ist ein riesiger Erfolg, den wir nur dank der tatkräftigen Mithilfe von euch allen erreichen konnten. Ein riesiges Merci! Trotzdem schauen wir mit Sorge in die Zukunft, denn der Rechtsrutsch wird uns zu schaffen machen.

Von Mattea Meyer und Cédric Wermuth, Co-Parteipräsidium

Am Donnerstagabend vor den Wahlen telefonierten wir zusammen mit schweizweit rund 250 weiteren SP-Mitgliedern zum letzten Mal vor dem Wahlsonntag mit Wähler:innen. Es war ein schönes, aber auch merkwürdiges Gefühl: Nach so langer Planung und so vielen intensiven Wahlkampf-Monaten war einfach Schluss. Tausende Freiwillige hatten sich über Wochen hinweg für eine soziale Schweiz stark gemacht. Jetzt konnten wir nur noch warten. Und die Anspannung wuchs zum Wahlsonntag hin ständig an.

Berg- und Talfahrt am Wahlsonntag

Kurz vor zwölf trafen dann am Sonntag, dem 22. Oktober, die ersten Ergebnisse aus kleinen Gemeinden ein. Im Minutentakt lösten sich über den Tag hinweg schlechte Nachrichten («SVP könnte auf über 30% kommen!») und erfreuliche Meldungen ab («Sitzgewinn der SP in Genf»). Am Abend zeichnete sich ab, dass der Rechtsrutsch Realität wird. Und dass die SP gleichzeitig zwei Sitze und viele Stimmen zulegen konnte. Bereits am Sonntagabend stand fest, dass wir weiterhin mindestens fünf Ständerät:innen und in verschiedenen Kantonen grosse Chancen im zweiten Wahlgang haben.

Am Mittwoch darauf hatten wir Präsidiumssitzung und versuchten, eine erste Wahlanalyse zu erstellen. Während der Diskussion erfuhren wir, dass sich das Bundesamt für Statistik (BfS) verrechnet hatte. Das Ergebnis von SVP, FDP und Mitte musste nach unten korrigiert werden. Dafür schnitten SP, Grüne und GLP besser ab, als am Sonntagabend verkündet worden war.

Der grösste Zugewinn für die SP seit 30 Jahren

Für uns heisst das konkret: Plus 1,5 % Wähler:innen-Anteil seit 2019. Das ist der grösste Zugewinn an einem Wahltag für die SP seit 30 Jahren und der drittgrösste seit 1971. Total konnten wir beinahe 60'000 Wähler:innen mehr gewinnen als vor vier Jahren. Zusammen mit den Grünen sind wir erneut stärker als die SVP. 

Wir konnten insbesondere in den städtischen Gebieten und in der Romandie massiv zulegen. In einigen deutschsprachigen, mittelgrossen Kantonen konnten wir uns leider deutlich weniger steigern als im nationalen Schnitt, teilweise mussten wir auch Verluste hinnehmen. Und in zahlreichen kleinen Kantonen mit nur einem Sitz ist die SP gar nicht angetreten. Das hat ein noch besseres Abschneiden bei diesen Wahlen leider verhindert. Beides werden wir in den nächsten Monaten vertieft analysieren müssen. Es soll uns ein Ansporn sein, den Wähler:innen in vier Jahren flächendeckend mit eigenen Kandidaturen eine Wahlmöglichkeit zu bieten.

Der Wahlerfolg war alles andere als selbstverständlich. Denn die letzten vier Jahre waren nicht rosig. Der öffentliche Gegenwind war stark, zahlreiche kantonale Wahlen verloren wir, die SP wurde zeitweise beinahe totgesagt.

Es ist uns im Wahlkampf gelungen, unsere Botschaft in einer verständlichen Sprache unter die Leute zu bringen. Unsere Themen Kaufkraft, Klimaschutz und Gleichstellung trafen und treffen den Nerv der Bevölkerung. Dabei konnten wir mit Initiativprojekten aufzeigen, dass es für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mehr bezahlbare Kitas braucht (Kita-Initiative) oder dass endlich grosse öffentliche Investitionen in eine erneuerbare Energieversorgung notwendig sind (Klimafonds-Initiative). Mit der Prämien-Entlastungs-Initiative konnten wir zudem direkt unser Gegenmittel zu den explodierenden Prämien präsentieren: eine Deckelung der Prämien auf maximal 10 % des verfügbaren Einkommens.

Rechtsrutsch macht Sorgen – soziale Politik umso wichtiger

Doch auch die Korrektur des BfS und unser Wahlerfolg ändern nichts an der Tatsache, dass die Schweiz am 22. Oktober einen Rechtsrutsch erlebt hat. Die nächsten vier Jahren werden schwierig werden. Die SVP wird ihre hasserfüllte Politik auf Kosten von Asylsuchenden und Armutsbetroffenen weiterführen. Und erste Reaktionen von FDP (und leider auch der GLP) deuten darauf hin, dass sie versuchen, sich nach rechts anzubiedern, mit «mehr Härte» gegenüber Geflüchteten. Das macht uns grosse Sorgen. In den nächsten vier Jahren müssen wir noch besser aufzeigen, dass die SVP nur darum auf Migrant:innen als Sündenböcke zeigt, damit sie von ihrer einseitigen Politik zugunsten der Immobilien-, Konzern- und Pharma-Lobby ablenken kann.

Wir werden viele Entscheide von rechts korrigieren müssen – sei dies beim Rentenabbau, beim ungenügenden Klimaschutz oder bei der Steuerpolitik für Grosskonzerne. Bereits 2024 sind wir wieder gefordert: Im März stimmen wir über die Initiative für eine 13.-AHV-Rente und die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen ab: Gute Renten für alle – oder länger arbeiten für die, die sich eine Frühpensionierung nicht leisten können? Im Sommer werden wir mit unserer Prämien-Entlastungs-Initiative dafür kämpfen, dass die Prämien gedeckelt werden. Und mit Referenden wehren wir uns gegen die Aushöhlung des Mietrechts und gegen einen milliardenteuren Ausbau der Autobahnen auf Kosten des Klimaschutzes.

Es braucht eine starke SP mehr denn je

Die SP ist die Garantin, um der SVP-Stimmungsmache gegen Ausländer:innen Paroli zu bieten und die soziale Schweiz zu stärken.

Dass wir gestärkt aus den Wahlen hervorgehen, ist allerdings nicht vom Himmel gefallen. Es ist das Werk und der Verdienst von unzähligen Mitgliedern und Freiwilligen, die in den letzten Monaten Unglaubliches geleistet haben. Ihr habt im Regen Plakate aufgestellt, frühmorgens Flyer verteilt, nach der Arbeit am Telefon mit Wähler:innen über ihre Anliegen gesprochen, spätabends Leser:innen-Briefe geschrieben oder Wahl-Erinnerungs-Nachrichten verschickt. Ihr habt mit euren Spenden ermöglicht, dass wir in Inseraten, Plakaten und auf Social Media präsent sein konnten. Ihr habt der SP tausendfach eine glaubwürdige, überzeugende und starke Stimme gegeben. Ihr habt den Gegenwind ausgehalten und euch nicht entmutigen lassen. Besonders freut uns, dass wir am Wahlsonntag und in den Tagen darauf beinahe 1000 Neumitglieder in unseren Reihen begrüssen durften. So sind wir für kommende Abstimmungs- und Wahlkämpfe noch besser gerüstet!

Fazit: Der Sitzgewinn im Nationalrat, das gute Abschneiden unserer Ständeratskandidierenden und der höchste Wähler:innen-Zugewinn seit 1971 war eine gewaltige Teamleistung. Wir verneigen uns vor euch und danken euch von ganzem Herzen.

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