Arbeiten und trotzdem von der Sozialhilfe abhängig sein

Claudia Friedl, Nationalrätin SG

Claudia Friedl, Nationalrätin SG
60 Prozent der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, haben zwar einen Job, der Lohn reicht aber nicht zum Leben. Sie gehören zu den „Working Poor“. Die öffentliche Hand muss über Beihilfen und Sozialhilfe die Dumpinglöhne aufbessern und so die Gewinne der unsozialen Arbeitgeber subventionieren. Das ist inakzeptabel.

In der reichen Schweiz verdienen 330‘000 Personen weniger als 4000 Franken pro Monat für eine Vollzeitstelle. Die Branchen der Tieflöhne sind bekannt: Gastgewerbe, Detailhandel, Landwirtschaft, persönliche Dienstleistungen. 70 Prozent der von Tieflöhnen Betroffenen sind Frauen. Gemäss Gewerbeverbandspräsident Bigler ist dies nicht so schlimm: Frauenlöhne seien oft nur „Zusatzverdienste“, sie müssten nicht reichen, um damit den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dieses herablassende Statement bedeutet nur eins: Es ist Zeit, dass die Lohndiskriminierung der Frauen wieder heftig diskutiert wird. Der erste Schritt ist die Einführung eines Mindestlohns am 18. Mai für alle. Auf einen Schlag erhalten 220‘000 Frauen (und 110‘000 Männer) einen besseren Lohn.

Neben den Frauen sind Ausländerinnen und Ausländer besonders häufig von Tieflöhnen betroffen. Die Resultate im Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats sprechen eine deutliche Sprache: 60 Prozent der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, haben zwar einen Job, der Lohn reicht aber nicht zum Leben. Sie gehören zu den „Working-Poor“. Die öffentliche Hand muss über Beihilfen und Sozialhilfe die Dumpinglöhne aufbessern und so die Gewinne der unsozialen Arbeitgeber subventionieren. Das ist inakzeptabel. Selbst die GPK hat erkannt, dass etwas getan werden muss. Sie „empfiehlt“ dem Bundesrat, diese unwürdige Situation zu beheben und Massnahmen einzuleiten, damit mit den bezahlten Löhnen der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Ob da etwas geschieht, ist völlig unklar. Einfacher und schneller kann diese Empfehlung mit der Annahme der Mindestlohninitiative umgesetzt werden.

Mit der Rekrutierung von Ausländerinnen und Ausländern lassen sich die Löhne drücken, insbesondere in grenznahen Regionen. In keinem Kanton sind Tieflöhne so häufig wie im Tessin. Während schweizweit jede zehnte Person von einem Tieflohn betroffen ist, ist es im Tessin jede fünfte Person. Die Arbeitgeber im Tessin profitieren von den Grenzgängerinnen und Grenzgängern, welche heute mit 60‘000 Personen rund einen Viertel aller Arbeitnehmenden im Tessin ausmachen. Die Lohndrückerei hat zu Löhnen von deutlich unter 4000 Franken geführt, was für die ansässige Bevölkerung katastrophal ist. Andere Grenzregionen kennen dieses Phänomen auch, aber nicht so ausgeprägt wie das Tessin. Apropos Tessin: Im Südkanton wurde die Masseneinwanderungsinitiative mit rund 70 Prozent angenommen, vor allem wegen der Grenzgängerproblematik. Mit der Annahme der Mindestlohninitiative wird sich die Situation rasch verbessern.

Viele Unternehmen behaupten, dass es ohne diese Dumpinglöhne nicht geht. Es gibt aber genügend Beweise, dass es funktioniert: In allen Tieflohnbranchen finden sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die den Angestellten faire Löhne zahlen, mit denen der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Ein Mindestlohn von 4000 Franken schützt am besten vor Lohndumping und die fairen Unternehmer vor der Billigkonkurrenz.

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