Artikel von Martine Docourt, Co-Präsidentin und Gina La Mantia, Zentralsekretärin SP Frauen* Schweiz, erschienen in der “Frauenstimme” der Frauen für den Frieden, Ausgabe 3.2020
Es sind nun drei Jahre her, dass die SP Frauen* Schweiz zu ihrem 100-jährigen Jubiläum das «Manifest für eine konsequent feministische Sozialdemokratie» erarbeitet haben, welches anschliessend von der Mitgliederversammlung der SP Frauen* und der Delegiertenversammlung der SP Schweiz verabschiedet wurde. Es handelt sich um eine eher ernüchternde Bestandesaufnahme der Gleichstellungspolitik in unserem Land. Noch heute bildet es eine wichtige Grundlage für unsere politischen Aktionen, Vorstösse und Forderungen.
35 Stunden sind genug!
Eine der wichtigsten Forderungen im Manifest ist die Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden bei gleichem Lohn. Diese Forderung geht weit zurück. Die Zweite Internationale hat 1889 in Gedenken an die Chicagoer Arbeitskämpfe von 1886 für den Acht-Stunden-Tag den 1. Mai zum Kampftag der Arbeiterinnenbewegung ausgerufen. Neben der Arbeiterinnenbewegung war es die feministische Bewegung, die eine starke Reduktion der Erwerbsarbeit forderte. Feministinnen wollten (und wollen heute noch!) damit erreichen, dass auch die Reproduktionsarbeit als gesellschaftlich notwendige Arbeit anerkannt wird, und dass die bezahlte und unbezahlte Arbeit gerechter aufgeteilt wird. Eine Arbeitsgruppe der SP Frauen* namens «Neuverteilung der Arbeit» hat, nach der Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat in den neunziger Jahren, den Vorschlag einer 35-Stunden-Woche entwickelt. Dies, weil ihrer Meinung nach das in der Verfassung festgehaltene «Recht auf Teilhabe an der Erwerbsarbeit» nur so durchzusetzen sei. Die bezahlte Erwerbsarbeit und die unbezahlte Reproduktionsarbeit sind auch heute noch sehr ungleich verteilt. Obwohl sich die Produktivität seit den sechziger Jahren verdoppelt hat sind wir sind immer noch bei über 40 Stunden Wochenarbeitszeit. Eine Arbeitszeitreduktion entzieht zudem dem Arbeitsmarkt nicht Arbeitsvolumen, sondern verteilt es auf mehr Leute.
Schlechte Entgeltung
Frauen beteiligen sich immer mehr an der Erwerbstätigkeit und arbeiten mehr als Männer, wenn die unbezahlte Arbeit dazugezählt wird. Trotzdem verdienen sie immer noch rund 20 Prozent weniger. Gemäss Bundesamt für Statistik wurden 2016 insgesamt 9.2 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit im Wert von 7.9 Milliarden Franken geleistet, zwei Drittel davon von Frauen. Frauen sind dadurch nicht nur im Alltag stark benachteiligt. Die unbezahlte Arbeit wirkt sich für sie auch bei einer Scheidung oder wenn sie in Pension gehen negativ aus, denn es gelingt ihnen kaum, genügend Kapital in der zweiten oder dritten Säule aufzubauen. Ein Drittel der Frauen hat keine zweite Säule. Doppelt so viele Frauen als Männer sind auf Ergänzungsleistungen angewiesen, und Frauen steht durchschnittlich 40 Prozent weniger Rente zur Verfügung als Männern.
Die Klimabewegung und die feministische Frauenbewegung sind sich einig: So eine Situation ist alles andere als gerecht und nachhaltig. Für uns SP Frauen* ist die Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn der Königinnenweg zu einer besseren Verteilung der bezahlten Erwerbsarbeit und der Reproduktionsarbeit, zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zu einer gerechteren Einkommens- und Vermögensverteilung, zu mehr Anerkennung der Care-Arbeit und zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Auch würde dem Fachkräftemangel der Wirtschaft wirksam entgegengewirkt, und die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt könnte von einer latenten Bedrohung zu einer Chance für alle werden. Schweden zeigt den Weg.
Nötige Änderungen
«Echten Klimaschutz gibt es nur, wenn der Kapitalismus grundlegend verändert wird», sagt die kanadische Schriftstellerin und Aktivistin Naomi Klein. Das heutige System baut auf der individuellen Gewinnmaximierung auf und hinterlässt weltweit zu viele Verliererinnen. Für mehr Lebensqualität für alle brauchen wir kollektive Strukturen, welche das Gemeinwohl fördern, Ausgleich und Gerechtigkeit. Und wir brauchen mehr Zeit.
Auch die aktuelle Covid-Krise zeigt es in aller Deutlichkeit: Der soziale Zusammenhalt ist zerbrechlich und muss gestärkt werden. Die Kluft droht grösser zu werden. Wir brauchen neue Werte und neue Prioritäten. Die Menschen, welche uns durch die Krise getragen haben – Pflegepersonal, Ärztinnen, Kinderbetreuerinnen, Detailhandelsangestellte, Logistikerinnen, Mütter und Väter – sie alle üben eine immens wichtige Arbeit aus, stehen aber konstant unter Druck und müssen immer um Anerkennung kämpfen. Eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden die Woche bei gleichem Lohn würde die dringend benötigte Entlastung für alle bringen.
Wir SP Frauen* bleiben haben den Ball aufgenommen und bleiben dran. Es ist klar, dass der Widerstand seitens der bürgerlichen Parteien gross sein wird – aber das schreckt uns nicht ab!