Armut und prekäre finanzielle Verhältnisse sind zunehmend für viele Menschen in der reichen Schweiz eine Realität. Sie fallen nicht vom Himmel. Sie sind die Konsequenz des neoliberalen Lieblingsspiels der bürgerlichen Parteien: des Sozialabbaus. Die Stärkung der Kaufkraft ist deshalb ein prioritäres Gebot weit über den Wahlkampf 2023 hinaus.
Rund 750’000 Menschen in der Schweiz leben gemäss Bundesamt für Statistik in Armut, eine weitere halbe Million ist armutsgefährdet. Bei den älteren Personen über 65 Jahren ist die Armutsgefährdung sogar um 50% höher als bei der Gesamtbevölkerung. In hunderttausenden Haushalten wissen die Leute kaum, wie sie nach der Monatsmitte über die Runden kommen sollen. Und das in der reichen Schweiz!
Armut und Prekarität fallen nicht vom Himmel. Sie sind die Konsequenz der ausgeprägten sozialen Ungleichheit in unserem Land. So sind in den letzten dreissig Jahren die Vermögen der Reichsten in der Schweiz stark gewachsen. Heute verfügen 10 Prozent der Bevölkerung über 75 Prozent aller Vermögen.
Lebensläufe und soziale Herkunft spielen dabei eine herausragende Rolle. Ihre Auswirkungen werden durch das Bildungssystem verstärkt, das die Reproduktion der sozialen Ungleichheit stützt. Die ökonomische Missachtung der gesellschaftlich so zentralen Care-Arbeit führt oft zu finanzieller Prekarität, die für das weitere Leben der Betroffenen bestimmend ist.
Seit 1998 geht die Lohnschere weit auseinander. Die tiefen und mittleren Löhne hinken der Produktivität stark hinterher. Andererseits sind die Löhne der Top-Verdienenden doppelt so schnell angestiegen. Der gemeinsam erarbeitete Wohlstand wird damit immer ungleicher verteilt. Nach dem Erwerbsleben bewirkt die verfassungswidrig magere Altersvorsorge, dass sich zahlreiche ältere Menschen in ihrer Lebensführung dramatisch einschränken müssen.
Vielfach ist eine Kombination dieser Faktoren im Spiel. Dazu kommt, dass das neoliberale Lieblingsspiel der bürgerlichen Rechten – der Sozialabbau – in den letzten Jahrzehnten zu einer Verschärfung der Situation geführt hat.
Die SP60+ wird deshalb auch nach den Wahlen dem Problemfeld Armut und Prekariat wesentliche Aufmerksamkeit widmen, die bestimmenden Faktoren vertiefter analysieren und prioritäre politische Massnahmen zur Trendumkehr entwickeln. Dabei beginnen wir nicht bei Null. Das Positionspapier der Fachkommission Soziale Sicherheit und Gesundheit der SP Schweiz, das vom Parteirat am 11. November 2022 verabschiedet wurde, stellt eine wichtige Grundlage für unsere Diskussion dar. Ebenso das Analysepapier zur Wahlplattform. Unter anderem sind wir bestrebt, die Diskussion in die kantonalen Gruppen zu tragen und die SP60+-Mitglieder zur Mitwirkung zu mobilisieren.
Heinz Gilomen, GL-Mitglied der SP60+, Rita Schmid, Co-Präsidentin der SP60+