Bürgerliche Mitte verabschiedet sich vom Rechtsstaat

Silvia Schenker, Nationalrätin BS

Silvia Schenker, Nationalrätin BS
Ja, die Ausschaffungsinitiative wurde 2010 von der Mehrheit der Stimmenden angenommen. Und ja, der Gegenvorschlag, welcher versucht hatte, der Initiative die schärfste Spitze zu nehmen, wurde verworfen. Und nochmals ja, die Durchsetzungsinitiative kam innert kurzer Zeit zustande. Dennoch bin ich über die Beschlüsse der staatspolitischen Kommission des Nationalrats von letzter Woche erschüttert.

Schon im Oktober letzten Jahres hat die Kommissionsmehrheit entschieden, die Ausschaffungsinitiative mit dem Wortlaut der Durchsetzungsinitiative umzusetzen. Sie schlug damit die Vorschläge des Bundesrates in den Wind. Vorschläge, die notabene das Resultat intensiver Arbeit einer Expertenkommission sowie einer Vernehmlassung sind. Der Bundesrat hat sich bemüht, einen Lösungsvorschlag für die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative zu bringen, der mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen und unserer Verfassung halbwegs vereinbar ist.

Unsere Verfassung sowie auch die Europäische Menschenrechtskonvention sehen vor, dass bei der Wegweisung immer die Verhältnismässigkeit eingehalten werden muss und dass sowohl das Non-Refoulement-Prinzip als auch das Recht auf Familienleben eingehalten werden müssen. Was nun die Kommission beschlossen hat, widerspricht fundamentalen Prinzipien.

Diese Entscheide sind zu bedauern nur konnten nur zustande kommen, weil die Mitteparteien sich in die Geiselhaft der SVP nehmen liessen. FDP und CVP betätigen sich als Totengräber zentraler rechtsstaatlicher Prinzipien. Und dies wegen einer vagen Hoffnung auf Rückzug der Durchsetzungsinitiative. Dabei hatte die SVP keinen Moment lang den Anschein erweckt, dass diese Hoffnung berechtigt ist. Die in der Kommission zahlreich vorhandenen Initiantinnen und Initianten hielten sich vornehm zurück. Warum auch nicht, wenn die Mitteparteien ihre Arbeit machen.

Sollten die Vorschläge der Kommission tatsächlich die parlamentarische Beratung überleben, bringt dies die Gerichte in Bedrängnis. Sie sind wegen der nicht vorhandenen Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz einerseits verpflichtet, das Gesetz anzuwenden und anderseits müssen sie sich an die EMRK halten, die für die Schweiz uneingeschränkt Gültigkeit hat. Verschaffen sie wie bis anhin der EMRK Nachachtung, werden sie zur Zielscheibe der Kritik der SVP und eines Teils der Bevölkerung. Mit gütiger Mithilfe von Vertreterinnen und Vertretern der Mitteparteien erreicht die SVP das, was sie schon länger will: Sie rüttelt an der Glaubwürdigkeit der Gerichte und insbesondere des Bundesgerichts und stellt das Völkerrecht und ganz besonders die EMRK „als Problem“ dar.

Welcher Schaden damit angerichtet wird, ist nicht abzusehen. Die Kommission spielt mit dem Feuer. Die nächste Station im Fahrplan der SVP nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ist die systematische Verletzung der EMRK und deren Kündigung. Damit wird die Schweiz mittel- bis langfristig in die Isolation getrieben. Es ist zu hoffen, dass das Plenum des Nationalrats und der Ständerat eimerweise Wasser über das entfachte Feuer giessen. 

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