300 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Sie brauchen Lebensmittel, Trinkwasser, medizinische Hilfe oder physischen Schutz. Kriege, Naturkatastrophen oder Hunger bedrohen ihre Existenz unmittelbar. Humanitäre Hilfe sichert ihr Überleben, während Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Beitrag leistet, damit diese und andere Menschen dauerhaft der Armut entkommen. Die Weltbank beziffert die Anzahl der von extremer Armut betroffenen Menschen auf 647 Millionen.
Gemäss Internationalem Währungsfonds hat die Schweiz das vierthöchste Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Welt – nach Luxemburg, Irland und Norwegen. Wenn man als Masseinheit das Vermögen pro Kopf verwendet, ist die Schweiz knapp vor Norwegen sogar das reichste Land überhaupt.
Seit 1970 fordert die UNO, dass die wohlhabenden Länder mindestens 0.7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen. Im Jahr 2023 trugen Norwegen 1 Prozent, Luxemburg 0.98 Prozent und Schweden 0.87 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung bei. In der Schweiz waren es lediglich 0.43 Prozent. Es ist kein Ruhmesblatt für die superreiche Schweiz, wenn neun Staaten gemessen an der Wirtschaftsleistung mehr zur Entwicklung und zum Frieden beitragen als wir. Aber mit 0.43 Prozent gehören wir immerhin noch zu den Top Ten.
Diese Klassierung wird sich allerdings drastisch verschlechtern, sollte sich der Ständerat mit seinen Beschlüssen durchsetzen. Die kleine Kammer hat am Montag ein weiteres Mal beschlossen, die Armeeausgaben stark aufzustocken, um vier Milliarden Franken bis 2030. Um die zusätzliche Aufrüstung zu finanzieren, will der Ständerat aber nicht etwa die starre Schuldenbremse aufweichen oder zusätzliche Einnahmen finden. Nein, er will andere Aufgaben des Bundes zusammenstreichen. Zwei Milliarden, also die Hälfte des Betrags, bei der Entwicklungszusammenarbeit. Das sind 500 Millionen pro Jahr.
Das ist ein Kahlschlag auf dem Buckel der Ärmsten dieser Welt. Die drastischen Kürzungen stoppen laufende Projekte und zerstören jahrzehntelang aufgebaute Strukturen der erfolgreichen Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. 500 Millionen Franken pro Jahr ist übrigens mehr Geld, als die gesamte Unterstützung der Schweiz für Afrika. Setzt sich der Ständerat durch, lässt die Schweiz die Bevölkerung ganzer Länder im Stich. Auch multilaterale Organisationen wie das Welternährungsprogramm, das Menschen vor dem Hungertod bewahrt, oder das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF würden von der Schweiz nicht mehr genügend unterstützt. Die Auswirkungen für die betroffenen Menschen aber auch für das internationale Ansehen der Schweiz wären verheerend.
Der Ständerat versteht sich gerne als «chambre de réflexion». Für die internationale Zusammenarbeit wurde er diese Woche zur «chambre de destruction», wie die Organisation Alliance Sud treffend festhält. Es ist am Nationalrat, diesen kolossalen Fehlentscheid zu korrigieren. Ein reiches Land wie die Schweiz, das sich dem Frieden, den Menschenrechten und einer humanitären Tradition verpflichtet fühlt, darf sich angesichts der Krisen und Kriege auf der Welt nicht aus seiner globalen Verantwortung stehlen.
Dieser Beitrag ist zuerst im Juni 2024 als Kolumne des SP-Nationalrats Jon Pult in der Südostschweiz erschienen.