Laudatio von Tamara Funiciello zur Verleihung des Ida Somazzi-Preises für herausragende Leistungen in der Frauenförderung an Jolanda Spiess-Hegglin, Gründerin von #NetzCourage
Liebe Anwesende, liebe Frauen, liebe Jolanda
Ich dachte immer, ich sei zu jung, um eine Laudatio zu halten, weil das nur Leute machen, die schon mega lange im Geschäft sind und die sich schon ewig kennen – dann ist mir aufgefallen, dass ich erstens nicht mehr so jung bin und dass wir zwei, liebe Jolanda, uns schon ein Weilchen kennen.
Und dass ich noch im Geschäft bin, habe ich zu grossen Teilen dir zu verdanken. Ich mag mich ganz genau erinnern, als du plötzlich, im Winter 2016, vor meiner Türe gestanden hast und gesagt hast: “Ich weiss, was bei dir abgeht – und ich kann dir helfen.”
Ich weiss nicht, ob es damals irgendjemand sonst gab in der Schweiz, die begriff, wie es mir ging. Ich war 26, kaum ein halbes Jahr JUSO-Präsidentin und ich war einfach zu viel. Zu jung, zu weiblich, zu frech, zu angstfrei, zu ausländisch. Ich wurde eingedeckt von Hass. Nazi-Seiten hatten mich mit Bild an den Pranger gestellt, meine Emails zu öffnen war ein Kraftakt, meine Facebookseite war voller anonymer Männer, die mich beleidigten, bedrohten und an mir zweifeln liessen.
Die allgemeine Haltung: If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.
Nun, ich war kurz davor die Küche tatsächlich zu verlassen. Ich war kurz davor aufzugeben. Alles hinzuschmeissen. Beinahe hätten sie mich zum Schweigen gebracht. Aber nur beinahe. Denn dann, liebe Jolanda, kamst du. Und hast mir nicht nur meine Stimme, sondern meinen Kampfeswillen zurückgegeben.
Du sasst da, im O bolles in Bern, und hast mir ruhig und sachlich erklärt, dass es System hat. Du hast mir erklärt, dass ich da nicht alleine durchmuss, dass du da bist.
Und dass wir das gemeinsam hinkriegen.
Zusammen mit dir und den wunderbaren Feministinnen in der JUSO haben wir Strukturen aufgebaut, die nicht nur mich schützten, sondern auch die Generationen nach mir. Du, liebe Jolanda, hast mir den Raum verschaffen, um wieder das zu machen, was ich liebe, indem du den Kampf mit meinen Haters für mich und mit mir aufgenommen hast. Du warst da, als ich ganz unten war – und hast mir wieder auf die Beine geholfen. Du warst da, als ich am dringendsten jemanden brauchte. Und das, obwohl gerade du allein gelassen wurdest, als du am dringendsten jemanden brauchtest.
An dieser Stelle möchte ich etwas machen, was schon lange überfällig ist – aber wohl noch kaum jemand getan hat. Ich möchte mich, liebe Jolanda, im Namen der feministischen Bewegung bei dir entschuldigen. Die feministische Bewegung hat versagt, als wir am meisten gebraucht wurden. Wir haben dich nicht geschützt, wir haben gezweifelt, wir haben Fehler gemacht. Wir waren zu schwach, zu unkritisch, zu mutlos. Dass wir heute gemeinsam an einem anderen Punkt stehen, dass die feministische Bewegung stärker ist, dass heute, das was dir angetan wurde, in dieser Form nicht mehr möglich wäre, haben wir dir zu verdanken.
Deinem Mut, deiner Hartnäckigkeit, deiner schlichten Weigerung, nach den sexistischen Regeln zu spielen. Oder, um es in den Worten einer guten Freundin auszudrücken: Das Patriarchat hat sich mit dir die falsche Gegnerin ausgesucht.
Du bist alleine wieder aufgestanden, du hast Stereotypen in Frage gestellt, nicht geschwiegen als man es von dir erwartet hat und du hast, als wäre es das normalste auf der Welt, die mächtigsten Mediengurus dieses Landes einfach angezeigt – und du hast gewonnen. Als Michelle Obama 2016 ihre berühmte Rede gegen Trump hielt “When they go low, we go high” – hattest du dir dieses Motto schon lange zu eigen gemacht. Als wären es nicht genügend Heldinnentaten für eine Person, hast du an diesem Punkt nicht Halt gemacht.
Nein. Du hast aus deinen schlimmsten Erfahrungen geschöpft, den Verein #Netzcourage gegründet und den Kampf gegen Hass und Hetze im Internet auf das nächste Level gehoben, um allen Frauen in diesem Land zu helfen, sie zu befähigen, ihnen nicht nur das Recht, sondern auch die Macht und die Möglichkeit zu geben, sich den Raum in der Öffentlichkeit der uns zusteht, zu nehmen. Und dies obwohl Schweizer Medien nach wie vor weder deine Kompetenzen anerkennen, noch deine Privatsphäre respektieren. Du bist innert kürzester Zeit zu einer auf europäischer Ebene bekannten Aktivistin und zu einem Referenzpunkt im Bereich Hatespeach geworden. Und auch hier hast du nicht Halt gemacht. #NetzCourage wird immer grösser.
Mit #NetzCourage bietest du und dein nunmehr mehrköpfiges Team Betroffenen von Gewalt im Netz kostenlose Beratung und handfeste, pragmatische und rasche Unterstützung. Es ist kein Zufall, dass dein erstes grosses Projekt Netzambulanz heisst. Aber nicht nur – ihr leistet Aufklärungsarbeit, in Schulen, staatliche Institutionen, NGOs und bei den Gewalttätern selbst. Ohne Berührungsängste. Dieser Verein widerspiegelt in so vielen Weisen deine Person, ich weiss gar nicht, ob du dir dessen bewusst bist. Er ist bodenständig, unkompliziert, effizient, mutig, visionär, solidarisch und gleichzeitig so unprätentiös.
Anders als gewissen Medien dir zu unterstellen versuchen, geht und ging es dir nie um Ruhm – sondern um Gerechtigkeit, um Anstand, um Fairness. Mit der Verleihung des Ida Somazzi Preises, liebe Jolanda, wird dir endlich den Platz eingeräumt, den du dir verdient hast: In der Tradition der grossen feministischen Pionierinnen dieses Landes, die sich nicht einschüchtern und nicht zum Schweigen bringen lassen.
Und wenn wir etwas von diesen Pionierinnen und von dir, Jolanda, lernen können, dann dass wenn Frauen sich verbünden, wenn Frauen sich schützen, stützen, abfeiern, dann können wir Berge versetzen. In diesem Sinne, liebe Jolanda, danke für deine Arbeit, danke für deinen Mut, danke für deine Freundschaft.
Venceremos!