Nach den Erfahrungen der letzten Jahre und vor der Entscheidung über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien ist klar: Die Früchte der Personenfreizügigkeit müssen real gerechter verteilt werden. Es genügt nicht mehr am Abstimmungstag das Land mit Apfelbaum-Plakaten zuzupflastern, wie das Economiesuisse in der Vergangenheit getan hat. Nur wenn die breite Öffentlichkeit die Vorzüge der Öffnung nach Europa auch zu spürt, wird das Modell Personenfreizügigkeit auch weiterhin die nötige Unterstützung erhalten.
- Wenn die Mieten immer weiter steigen und die Suche nach einer zahlbaren Wohnung in den Ballungszentren immer aussichtsloser wird;
- wenn die Liste der Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt mit Stundenlöhnen für slowakische Arbeiter von 5 Franken und ähnlichem immer länger wird;
- wenn aufgrund einer neoliberalen Sparpolitik die steigende Zahl ausländischer Studierenden zu Stehplätzen an den Unis führt und
- wenn ganz allgemein das überbordenden Wachstum in gewissen städtischen Agglomerationen bei den Menschen ein diffuses Unbehagen und aufgrund des wachsenden wirtschaftlichen Drucks eine Art Futterneid auslöst, dann sind das klare Signale an die Politik.
Die SP will keine Rückkehr in das Kontingentssystem der Vergangenheit wie Adecco-Chef Rolf Dörig, sondern stattdessen eine Weiterentwicklung des Status quo mit verbesserten und verschärften Flankierende Massnahmen – und dazu gehört insbesondere eine Ausweitung auch auf den Wohnungsmarkt. Wir sprechen darum von FLAM plus, damit klar wird, dass es mehr braucht als die bisherigen Instrumente.
Umfassende sowie regional- und branchenspezifisch gezielte flankierende Massnahmen müssen die Risiken eindämmen: Im Arbeitsmarkt, im Wohnungsmarkt, in der Bildung und zur Beseitigung von Fehlanreizen im Steuerbereich. Ohne verbindliche Zusagen in diesen Punkten wird die SP die PFZ-Erweiterung auf Kroatien ablehnen. Warum? Weil die Personenfreizügigkeit wie bereits erwähnt kein Selbstzweck ist, sondern allen und nicht nur den Immobilienspekulanten und den Lohndrückern einen Nutzen bringen darf.
Was verlangen wir konkret?
- Im Wohnungsbereich muss der Bund erstens im Interesse der Allgemeinheit mehr Mittel für den gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung stellen, damit der Anteil solcher Wohnungen im Gesamtangebot steigt. Die Genossenschaften und gemeinnützigen Stiftungen sind die Garanten für die Kostenmiete.
- In Städten und Agglomerationen mit akuter Wohnungsnot und markanten Preissteigerungen braucht es zweitens definierte Wohnzonen, in denen ein Mindestprozentsatz der Wohnfläche für preisgünstige Wohnungen reserviert bleibt. Ziel ist, ein genügendes Angebot an erschwinglichen Wohnungen für Familien mit tieferen und mittleren Einkommen sicherzustellen.
- Drittens muss mittels einer verbindlichen Formularpflicht den NeumieterInnen der bisherige Mietzins mitgeteilt werden, um so ungerechtfertigte Erhöhungen beim MieterInnenwechsel zu verhindern. Kündigungen, die einfach darauf abzielen einen höheren Ertrag zu generieren oder um unverhältnismässige Sanierungen durchzuführen müssen sofort gestoppt werden können.
- Auf dem Arbeitsmarkt braucht es erstens in jenen Branchen, die wiederholt Lohndumping aufweisen, verordnete Mindestlöhne.
- Damit Verstösse bemerkt und auch geahndet werden können, braucht es zweitens regelmässige Kontrollen mit schärferen Sanktion für die fehlbaren Arbeitgeber. Mittels einer verschärften Solidarhaftung muss der nötige Druck für eine Einhaltung der geltenden Regeln sichergestellt werden.
- Und ganz grundsätzlich muss das aggressive Abwerben von Firmen aus dem Ausland mit einer Tiefsteuerpolitik wie beispielsweise dem Ringfencing gestoppt werden. Diese Standortpolitik zahlt sich nicht aus. Die Unternehmen lassen sich vorzugsweise genau in Regionen nieder, die bereits von Überhitzungserscheinungen gekennzeichnet sind. Die Vorteile dieser Steuerpolitik kommt einigen Wenigen zugute, während die breite Öffentlichkeit die Kollateralschäden wie steigende Mieten zu tragen hat.
Dieses Steuerungsmodell «Personenfreizügigkeit kombiniert mit flankierenden Massnahmen plus» bringt auf ideale Weise zentrale sozialdemokratische Grundwerte – die individuellen und kollektiven Freiheitsrechte, die soziale Gerechtigkeit und die Solidarität – in Einklang. So werden die ökonomischen Vorteile eines offenen Arbeitsmarktes und Wahrung individueller Freiheitsrechte mit den Anforderungen an die soziale Gerechtigkeit und die Grenzen des Wachstums vereinigt. Wird aber nur in Dienste der Wirtschaft der Arbeitsmarkt geöffnet und zugelassen, dass die Profitmaximierung das alleinige Ziel ist, wird die SP sich dem entgegenstellen.