Kürzlich sass ich mit einer guten Freundin in einem Restaurant, als ein Herr an unseren Tisch trat und mir zünftig die Meinung geigte. Nicht dass ich ein Problem damit hätte, meinen politischen Standpunkt auch nach Büroschluss noch zu vertreten. Dennoch wird einem in solchen Momenten bewusst, dass man unter Beobachtung steht. Dass die Privatsphäre eingeschränkt ist. Der JUSO-Präsident ist daran primär selber schuld. Anders sieht es bei den allermeisten Bürgerinnen und Bürgern aus. Was bedeutet uns unsere Privatsphäre? Welche Nachrichten, Einkäufe oder Gefühle möchten wir für uns behalten? Wie beeinflusst es unser Verhalten, wenn Intimität bald nichts mehr gilt?
Alle diese Fragen müssen wir uns dank dem diese Woche vom Nationalrat verabschiedeten neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) stellen. Mit dem neuen Gesetz erhält der Schweizer Geheimdienst ganz neue Möglichkeiten zur Überwachung. So kann er durch die Verknüpfung des NDG mit dem Büpf neu nicht nur auf die Randdaten der gesamten Telekommunikation zugreifen und via Staatstrojaner unbemerkt in fremde Computer eindringen. Dank der Kabelaufklärung ist auch der Inhalt von E-Mails nicht länger sicher vor den Spionen des Bundes.
Mit dem neuen Gesetz erhält der Schweizer Geheimdienst ganz neue Möglichkeiten zur Überwachung.
Die Auflagen für diese massiven Eingriffe in die Privatsphäre sind enorm niedrig und oft willkürlich, weil sich die Bürgerlichen weigerten, den Geltungsbereich einzuschränken, die Bewilligungen zu verschärfen und mehr Aufsicht vorzuschreiben. Zahlreiche Fragen bleiben im neuen Gesetz deshalb ungeklärt und können von Ueli Maurers Verteidigungsdepartement auf dem Verordnungsweg ausgearbeitet werden. Die Kontrolle ist mangelhaft und im Falle der „Dringlichkeit“ kann der Nachrichtendienst in Eigenregie entscheiden, welche Massnahmen ihm für seinen sehr offen definierten Auftrag angemessen erscheinen. Zahlreiche namhafte Rechtsprofessoren befürchten deshalb, dass die Rechtsstaatlichkeit geritzt und die ordentliche Polizeiarbeit erschwert wird.
Das neue Schnüffelgesetz erhöht im militärischen Bereich aber auch die Abhängigkeit von ausländischen Geheimdiensten. Das Gesetz sieht nämlich die verstärkte und institutionalisierte Zusammenarbeit mit fremden Diensten vor. Dabei geniessen etwa die amerikanischen Geheimdienste in der Schweiz schon heute eine Sonderbehandlung, daran wird sich mit diesem Gesetz wenig ändern. Edward Snowdens Enthüllungen haben gezeigt, dass sie dabei mit enormer Arroganz vorgehen und im grossen Stile Daten sammeln oder sogar UNO-Institutionen abhören. Souveränität und Demokratie der Schweiz würden somit beschränkt.
Und wozu das alles? Der Kampf gegen die Gefahren des Terrorismus verlangten es, wird von jenen behauptet, die bis heute das Geldwäschereigesetz nicht umsetzen und Waffen in Krisenregionen verkaufen. Bis heute gibt es aber keinen Beleg, dass mehr Überwachung auch mehr Sicherheit bringt. Bei allen grösseren Anschlägen im Westen der jüngeren Vergangenheit, ob Kopenhagen, Paris oder Boston, waren die Täter den Geheimdiensten bekannt. Diese hatten aber in ihrer Sammelwut einen derart grossen Heuhaufen an Informationen aufgetürmt, dass sie die verdächtige Stecknadel nicht mehr fanden.
Bis heute gibt es aber keinen Beleg, dass mehr Überwachung auch mehr Sicherheit bringt.
Wie bei jedem neuen Gesetz stellt sich also die Frage: Wozu braucht es das? Und die Antwort fällt beim neuen NDG sehr klar aus: gar nicht. Ein Gesetz, das viel kostet und dafür nicht einmal die Sicherheit erhöht, ist unnötig. Und es ist gefährlich, weil es die für unsere Gesellschaft zentralen Grundrechte in Frage stellt.
Ein Gesetz, das viel kostet und dafür nicht einmal die Sicherheit erhöht, ist unnötig.
Die Grundrechte sind fundamentale Errungenschaften unserer Zivilisation. Privatsphäre, Rechtsstaatlichkeit und freie Meinungsäusserung sind mit dem neuen Überwachungsgesetz aber in Gefahr. Wenn ich unter Beobachtung stehe, verhalte ich mich anders, rede anders, bin eher angespannt. Eine Gesellschaft unter Beobachtung ist keine sichere Gesellschaft. Sie ist unfrei und beherrscht von Angst. Die Antwort nach den Anschlägen von Paris war eine andere: „Je suis Charlie!“ Der Kampf gegen das neue Nachrichtendienstgesetz ist darum nicht nur ein Kampf gegen die Angst, es ist auch ein Kampf für Demokratie und Freiheit.