Seit Beginn der Debatte über die No-Billag-Initiative reden wir darüber, was wir so alles an den Sendungen und Leistungen insbesondere der SRG-Sender gut und schlecht finden. Das ist eine durchaus legitime Debatte. Aber wenn wir ehrlich sind, trifft sie des Pudels Kern nicht wirklich. Sicher, die SRG könnte vieles besser machen, da gebe ich allen Recht (wer schon nicht?). Ich glaube nicht, dass es eine SRF-Fernsehsendung gibt, mit der ich mich nicht schon angelegt hätte. Aber im direkten Vergleich fällt jedem ehrlichen Betrachter und jeder ehrlichen Betrachterin schnell auf: Das eigentliche Problem in der Schweizer Presselandschaft liegt nicht bei der SRG. Es liegt bei der so genannten privaten Presse.
Des Pudels Kern: Die Presse als blosse Ware
Wenn ich mir schon alleine die Berichterstattung zu den parlamentarischen Debatten und Prozessen anschaue, dann drängt sich mir der Verdacht auf, dass irgendwer streng über die Einhaltung der einen Regel „Keine Ausgabe ohne faktische Fehler“ wacht. Um es deutsch und deutlich zu sagen: Die Qualität der politischen Berichterstattung in der Schweiz ist im Durchschnitt – nett formuliert – eben Durchschnitt* (alles ausserhalb der politischen Berichterstattung kann ich nicht beurteilen). Und das Drama dabei ist: Es liegt nicht an der Qualität der Journalistinnen und Journalisten, im Gegenteil. Meine Erfahrung in etwas mehr als fünf Jahren „Bern“ ist, dass es in jeder Redaktion hervorragende Köpfe gibt. Menschen, die diesem Land wirklich etwas zu sagen haben (oder hätten). Das Problem ist, dass sie in einer Branche arbeiten, die in einer fundamentalen Krise steckt. Die Kritik an der Qualität der privaten Presse ist keine Kritik an den Menschen, die dort arbeiten. Sondern eine Kritik an den Umständen, unter denen sie arbeiten. Und diese sind, je länger je mehr, nicht mehr demokratiekompatibel. Das ist die Wahrheit.
Die Kritik an der Qualität der privaten Presse ist keine Kritik an den Menschen, die dort arbeiten. Sondern eine Kritik an den Umständen, unter denen sie arbeiten.
Es ist die Krise eines Modells, das darin besteht, die Presse zur Ware zu machen. Das mag eine Zeit lang gut gegangen sein, aber es geht nicht mehr. In immer weniger Zeit, mit weniger Personal über immer mehr und komplexere Fragen und auf immer mehr Kanälen gleichzeitig zu berichten, geht nicht. Ich scheitere als Parlamentarier ja schon daran, schon nur alle Geschäfte in meiner Kommission wirklich zu verstehen. Wie sollen dann die gleichen Journalistinnen und Journalisten von der Tempo-30-Zone über die Bundesratswahlen bis zur AHV-Reform alles abdecken können? Für uns Politikerinnen und Politiker ist die Situation manchmal ja ganz praktisch. Ich kann ihnen das Gegenteil von dem erzählen, was ich ihnen vor sechs Monaten erzählt habe. Ich weiss ja, dass sie keine Zeit haben, das nachzuprüfen. Für mich mag das praktisch sein, für die Demokratie ist es verheerend. Sicher, es gibt nach wie vor Journalistinnen und Journalisten, die anders arbeiten, einverstanden. Aber schaut man sich die Medienhäuser als Ganzes an: Mit Verlaub, die Tendenz ist inzwischen überall eindeutig.
Die Krise des Journalismus ist politisch nicht neutral
Das Problem ist, dass diese Krise politisch nicht neutral ist. Es geht nicht einfach um ein paar Redaktionen die zusammengelegt, ein paar Titel, die geschlossen werden. Es geht darum, dass der Kernauftrag der vierten Gewalt verloren geht. Einerseits ganz direkt. Die Zerschlagung der Redaktionen (aus zumindest vorgeblich ökonomischen Gründen) und die Prekarisierung der Arbeitsumstände, machen Widerstand gegen den politischen Missbrauch schwierig. Gerade dieses Wochenende hat meine ehemalige Wahlheimat Baden erlebt, was das bedeutet. Mit einer beispiellosen Dreckskampagne hat das bürgerliche Establishment unter Führung des Monopolmedienkonzerns den amtierenden Stadtpräsidenten Geri Müller fertig gemacht. Ja, fertig gemacht, nichts anderes (die Demontage begann bereits lange vor der Selfie-Affäre). Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter wusste, dass das nichts mehr mit Journalismus zu tun hat. Aber wehren konnte oder wollte sich niemand. Aus Angst vor dem Jobverlust? Und das ist nur ein Beispiel, die anderen sind bekannt. Die beispiellose Monopolisierung der öffentlichen Meinung durch die AZ Medien in meiner Region – Zeitung, Fernsehen, Radio, Internetportale kommen aus der gleichen Hand – und anderswo, wirft Fragen auf. Mir scheint ehrlich gesagt, dass nicht die privaten Verleger, wie von der SVP mantraartig wiederholt, vor der „expandierenden“ SRG geschützt werden müssen, sondern die Demokratie vor dem Missbrauch durch die privaten Medienkonzerne.
Dieses Land braucht dringend eine Förderung von privaten Medienprojekten. Wir brauchen in jeder Grossregion nicht eine oder zwei Zeitungen und Medienprodukte, sondern drei, vier, fünf, sechs, die sich gegenseitig kontrollieren.
Und bevor die Rechte jetzt aufschreit, will ich auch sagen, wie man das macht. Es wird den Rechten ausnahmesweise gefallen. Die Antwort ist: Mehr Markt. Das neue Problem ist an sich nicht der politische Missbrauch von Druckerpressen, das gab’ es schon immer. Das Problem ist, dass man sich nicht mehr wehren kann. Dass es keine zweite Zeitung, kein zweitens Medium gibt, das eine Gegendarstellung abdruckt. Oder zumindest keines mit relevanter Reichweite. Dieses Land braucht dringend eine Förderung von privaten Medienprojekten. Wir brauchen in jeder Grossregion nicht eine oder zwei Zeitungen und Medienprodukte, sondern drei, vier, fünf, sechs, die sich gegenseitig kontrollieren. Ein paar Hobby-Blogs reichen da nicht. Journalismus ohne professionelle Journalistinnen und Journalisten gibt es nicht. Übrigens zur Ironie der Debatte: Der Monopolbrecher ist in meiner Region das Regionaljournal der SRG.
Der NCIS-Effekt: Die neoliberale Nicht-Gesellschaft
Zweitens ist diese Krise politisch nicht neutral wegen dem, was ich den NCIS-Effekt nenne (ich habe das hier schon einmal versucht etwas auszudeutschen). Kennen Sie die amerikanischen NCIS-Serien? Im wesentlichen geht es dabei immer um eine Polizeispezialtruppe (mit einem schwarzen Mitarbeiter, nicht weniger, nicht mehr), die besonders brutale Verbrechen aufdeckt. Das Muster ist immer das gleiche: Das Böse wird bekämpft, in dem man das kranke Elemente aus der Gesellschaft entfernt, den Verbrecher oder die Verbrecherin. Für gesellschafltliche Einflüsse, Macht- und Herrschaftsverhältnisse bleibt kein Platz. Genau das geschieht auch mit einer Presselandschaft in der Krise. Wenn nur noch die Klickraten zählen und keine Zeit mehr bleibt für Recherche, dann fallen strukturelle Zusammenhänge aus dem Blickfeld. Und das überbrückt man mit Skandalisierung und Personalisierung. Politik wird zur Actionserie von persönlichen Erfolgen und Niederlagen einzelner Akteure. Politische Verantwortung wird individualisiert. Wir haben diese Überbewertung Einzelner in absurder Weise gerade bei den Bundesratswahlen erlebt. Das passt in die neoliberale Erzählung: Verantwortlich und schuld ist jeder und jede selber. Auch Flüchtlinge, Arbeitslose, Griechen. Dieses Bild einer Nicht-Gesellschaft dient offensichtlich keiner solidarischen Vorstellung von Zukunft, sondern ihrem Gegenteil. Nicht Fluchtursachen bekämpfen, sondern Flüchtlinge wegsperren, Problem gelöst.
Das tragische an der Fehlkonstruktion der Presse als blosse Ware ist, dass sie damit immer dann selber in die Krise gerät, wenn sie die Welt am dringendsten bräuchte. Zum Beispiel jetzt. Angesichts rechtsextremer Parteien, massiver Umverteilungen von Reichtum, Finanzkrise und existentieller Bedrohungen (Klimawandel) greifen Unverständnis, Ohnmacht und damit Entpolisierung um sich. Eine kritischer Journalismus, der die Zusammenhänge betont, statt das Schauspiel zu suchen, wäre wichtiger denn je. Aber ein Journalismus, der von Werbekunden und dem Profitstreben seiner Aktionäre lebt, wird mit diesen in die ökonomische Krise gerissen.
Ich weiss, die meisten im Parlament hören das nicht gerne, aber es ist so: Alle Presse ist Service public. Oder sie müsste es zumindest sein. Die Kontrollfunktion der Medien ist zu wichtig, um sie sich selbst zu überlassen.
*die erste Formulierung war etwas weniger nett, dafür etwas zu pauschal.
Diese Rede wurde nie gehalten. Auf Grund des Zeitmangels haben die Fraktionen beschlossen die Liste der Rednerinnen und Redner zur No-Billag-Initiative zu kürzen. Es ist das Gedankenprotokoll, dessen, was ich als Reaktion auf die zahlreichen Voten der No-Billag-Befürworter gerne gesagt hätte.