Der Wolf, das staatspolitische Tier

Selten hat ein Tier die Schweizer Politik und Gesellschaft so polarisiert wie der Wolf. Die Angst sitzt bei manchen tief. Dank der Forschung wissen wir heute jedoch viel über das Raubtier, seine Rudelstruktur und das Jagdverhalten. Es ist darum höchste Zeit, wissenschaftlich fundierte Entscheide zu treffen.

Cécile Heim

In der SRF-Sendung «Der Club» von Anfang Dezember ging es hoch zu und her: Mitte-Nationalrat Martin Candinas (GR) und Georges Schnydrig, Präsident des Vereins «Lebensraum Wallis ohne Grossraubtiere», beklagten wortreich die grosse Angst der Bergbevölkerung vor dem Wolf. Klar ist: Die heftigen Reaktionen lassen sich nicht nur mit Verweis auf die Mythologie erklären. Wolfsrisse stellen für Weidetiere und Bäuer:innen grosses Leid dar, auch wenn sie entschädigt werden. Die Alpwirtschaft ist mit dem Wolf komplizierter geworden. Dies sollte in die politische und rechtliche Regulierung des Wolfsbestandes einfliessen.

Märchen und Emotionen sind jedoch eine schlechte Grundlage für politische Entscheide. Die Jagdverordnung, die seit dem 1. Dezember 2023 in Kraft ist und von Bundesrat Rösti auf staatspolitisch äusserst problematische Weise durchgeboxt wurde, lässt sich nur mit rein emotionalen Argumenten nachvollziehen. Oder sonst mit dem Stimmenfang für die eigene Partei und Klientel – obwohl man von einem Bundesrat erwarten dürfte, dass er sachlich entscheidet, das geltende Recht respektiert und sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt.

Die Wissenschaft spricht eine klare Sprache

Diese Erkenntnisse sind eindeutig. Der Wolf übt einen positiven Einfluss auf das ganze Ökosystem aus. Der Mindestbestand von zwölf Rudeln, wie er in der neuen Jagdverordnung festgelegt wurde, ist willkürlich und dürfte wegen der Zerstörung der Rudelstruktur sogar eher mehr Risse zur Folge haben. Zudem funktioniert der Herdenschutz gut.

Der Wolf reguliert nicht nur den Reh- und Hirschbestand, sondern fördert auch die Verjüngung des Waldes, stabilisiert dadurch Flussläufe und schafft so Lebensräume für Amphibien, Reptilien und Fische. Besonders junge Weisstannen sind ohne Wolf stark gefährdet, weil sie von Rehen und Hirschen gerne gefressen werden. Diese Tanne ist wichtig für den Schweizer Wald, weil sie hitze- und klimaresistent ist und mit ihren tiefen Wurzeln erheblich zum Schutz vor Lawinen und Erdrutschen beiträgt. Der Wolf leistet viel für unsere Lebensräume und die Biodiversität.

Zeit für neue Wege

Es ist höchste Zeit, dass wir die Angst vor diesem intelligenten und sozial organisierten Tier verlieren und ihm endlich den Platz einräumen, der es ihm erlaubt, seine entscheidende Rolle im Ökosystem wahrzunehmen. Wie Jean-Michel Bertrand in seinem eindrücklichen Film «Vivre avec les loups» (Leben mit den Wölfen) sagt: «Die Wölfe sind ein exzellentes Mass dafür, inwiefern wir Menschen fähig sind, die Natur zu akzeptieren.» Die Wölfe brauchen keine menschliche Regulierung, sie regulieren sich selbst. Aus diesem Grund sollte man die Ressourcen, die man in die Wolfsjagd investiert, in den Herdenschutz stecken und die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land verstärken, etwa durch die Förderung von Freiwilligen, die sich mit Organisationen wie jene zum Schutz der Weidegebiete in den Schweizer Alpen (OPPAL) engagieren.

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