„Neues Vertrauen für ein neues Europa“ forderten die Delegierten der SPD Mitte November am Parteitag in Leipzig. Die Partei zeigte sich von der Wahlniederlage zerknirscht und wartete vorsichtig auf den Koalitionsvertrag. Die Rede von Martin Schulz, dem Kandidaten der europäischen Sozialdemokratie (PSE) für das Kommissionspräsidium der EU geriet da zu einem absoluten Höhepunkt. Martin Schulz, heute der Präsident des europäischen Parlamentes, weiss rhetorisch zu begeistern. Er stellte einen gewissen Zerfall der europäischen Idee fest, eine Entsolidarisierung, ein Demokratiedefizit – und darum ein Erstarken der Nationalisten. Die oberste Priorität für die PSE hat die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Zentral aber, insbesondere für das Wirken einer grossen Koalition: „Volkswirtschaften können nicht mit Haushaltkürzungen saniert werden – wir müssen strategische Investitionen tätigen, die Beschäftigung fördern.“
Ausdrücklich forderte Schulz damit eine Abkehr von der Austeritätspolitik. Europa als Wertegemeinschaft solle weltweit gegen Ausbeutung vorgehen, statt sich darum zu kümmern, ob Olivenöl geschlossen oder offen auf den Restauranttisch gestellt werden könne. Es müsse Bürokratie abgebaut werden, dazu brauche es Reformen – weil sonst die europäische Idee gefährdet werde. „Aus der Idee ist Verwaltung geworden – jetzt denken die Leute, die Verwaltung sei die Idee.“
Nun hat Deutschland seit einigen Wochen eine neue Regierung. Der Koalitionsvertrag ist ein Verhandlungserfolg für die SPD – etwa was Mindestlohn, Renten oder die doppelte Staatsbürgerschaft angeht. Der Union hat sich vorläufig im Wesentlichen bei der Autobahnmaut und dem Betreuungsgeld durchgesetzt.
Aber wie ist es denn nun eigentlich mit Europa? Leider nicht ganz so berauschend, wie in den Parteitagsreden. Im 184-seitigen Dokument steht gerade mal ein entscheidender Satz zur europäischen Malaise: „Damit Europa dauerhaft aus der Krise findet, ist ein umfassender politischer Ansatz erforderlich, der Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine strikte, nachhaltige Haushaltskonsolidierung mit Zukunftsinvestitionen in Wachstum und Beschäftigung in sozial ausgewogener Weise verbindet.“ Wie vieles im Koalitionsvertrag tönt das je nach Lesart irgendwie gut, nach „weiter wie gehabt“, oder jedenfalls vage bis zur Unkenntlichkeit. Für die Menschen in den Krisenländern ist das eine Enttäuschung. Auch wenn Deutschland unter eigenem Sparzwang immerhin 23 Milliarden an Investitionen innerhalb der nächsten vier Jahre in europäische Projekte investieren will.
Fazit: An ihren Taten sollt ihr sie messen. Und als Schweizer, auch als Linker und überzeugter Europäer sowieso, ziemlich kleinlaut sein. – Und mit Hoffnung und Respekt darauf blicken, wie die SPD Verantwortung übernehmen will und kann, auf dass es nicht einfach nur der Partei, sondern den Menschen in Deutschland und Europa besser geht.