Die Grenzregionen müssen vor Dumpinglöhnen geschützt werden

Marina Carobbio Guscetti, Nationalrätin TI, Vizepräsidentin der SP Schweiz

Marina Carobbio Guscetti, Nationalrätin TI, Vizepräsidentin der SP Schweiz
Vom Schweizer Schriftsteller Max Frisch stammt der bekannte Ausspruch: «Man hat Arbeitskräfte gerufen und es kamen Menschen.» Was Frisch vor knapp fünfzig Jahren gesagt hat, ist heute aktueller denn je: Die Wirtschaft holt Arbeitskräfte aus der EU und es kommen Menschen, die hier wohnen und arbeiten – häufig zu Löhnen, von denen sie und ihre Familien nicht anständig leben können.

Davon ist besonders mein Heimatkanton, das Tessin, betroffen. In der Sonnenstube der Schweiz haben auch diesen Sommer wieder zahlreiche Touristinnen und Touristen die Ferien genossen. Vielen wird leider nicht bewusst gewesen sein, zu welchen Arbeitsbedingungen und tiefen Löhnen zahlreiche Angestellte dort arbeiten. Dass ein Arbeitnehmender im Tessin 2900 Franken brutto pro Monat erhält, ist heute traurige Realität.

Dies ist möglich, weil zahlreiche Unternehmer den europäischen Arbeitsmarkt zur Profitsteigerung nutzen. Sie spielen günstige italienische Arbeitskräfte gegen einheimische aus und drücken so die Löhne in unserem Land.

Als auf Druck der Schweizer Wirtschaft die Personenfreizügigkeit eingeführt wurde, haben Linke und Gewerkschaften nur unter der Bedingung zugestimmt, dass mit sogenannten flankierenden Massnahmen Dumpinglöhne verhindert werden. Leider haben die Wirtschaftsführer und die Bürgerlichen wirksame flankierende Massnahmen jahrelang verwässert und verhindert. Stattdessen haben sie die betroffenen Regionen – allen voran die Grenzregionen Tessin, Genf und Jurabogen – sich selbst überlassen.

Betriebe im Tessin ersetzen zum Beispiel immer mehr ortsansässige Angestellte durch günstigere Grenzgängerinnen und Grenzgänger und setzen damit die Löhne massiv unter Druck. Inzwischen kommen aufgrund der schweren Krise in den Mittelmeerländern auch zahlreiche Arbeitskräfte mit hohem Qualifikationsniveau, die bereit sind, in der Schweiz praktisch zu jeder Bedingung jede Arbeit anzunehmen. Vermehrt stellen viele Firmenbesitzer sogar lieber volljährige Lehrlinge aus Italien anstatt ortsansässige an, weil sie gefährliche, für Minderjährige verbotene Arbeiten ausführen können, den Führerausweis besitzen oder bereits berufliche Erfahrung haben. Diese Entwicklung wird durch die Wirtschaftskrise verstärkt und stellt die Menschen, insbesondere auch die Lehrlinge, vor untragbare soziale und wirtschaftliche Probleme.

Dabei gibt es Massnahmen, die eine Personenfreizügigkeit im Interesse der Menschen ermöglichen:

  • Branchen, in denen vermehrt Lohnunterbietungen und überdurchschnittliche Zuwanderung auftreten, können heute zu Fokus-Branchen erklärt werden, in denen besondere Massnahmen ergriffen werden können. Ein gleiches Instrument braucht es für die betroffenen Regionen. Wir müssen analog zu Fokus-Branchen auch Fokus-Regionen definieren, in denen eine erleichterte Allgemein-Verbindlich-Erklärung von Gesamtarbeitsverträgen, kantonale Normalarbeitsverträge und eine Erhöhung der Kontrolldichte möglich ist.
  • Zusätzlich sollen die Unternehmer in die Pflicht genommen werden und pro im Ausland angeworbener Arbeitskraft eine Abgabe in einen Fonds einbezahlen. Daraus werden flankierende Massnahmen wie eine Erhöhung der Kontrolldichte oder Massnahmen zur Arbeitsmarktintegration für stellensuchende Arbeitskräfte finanziert. 

Über die wirkungsvollste Massnahme gegen Lohndumping kann das Stimmvolk jedoch im kommenden Jahr abstimmen: Dann kommt die Mindestlohn-Initiative der Gewerkschaften zur Abstimmung, die für alle einen Lohn von mindestens 4000 Franken verlangt – und damit einen Lohn, der zum Leben reicht. Sowohl für die Menschen, welche die Wirtschaft in die Schweiz ruft, als auch für die, die bereits hier leben. Damit schützen wir die Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen – damit alle profitieren, und nicht nur ein paar wenige!


Quelle: Politblog Newsnetz, 29.7.2013

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