Die Frage, ob die Spekulation mit Agrarderivaten einen Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise hat, ist für die Beurteilung der Spekulationsstopp-Initiative tatsächlich sehr relevant. Wenn dem nämlich so wäre, ist das Business-Modell, bei dem mittels Hochleistungscomputern in Sekundenbruchteilen auf die Preisentwicklung von Nahrungsmitteln gewettet wird, verantwortlich für grosse Preissprünge bei Grundnahrungsmitteln. Und damit für Hunger und Elend von Millionen in der Welt.
Die Spekulationsstopp-Initiative geht genau davon aus – in Übereinstimmung mit Weltbank, UNO, ETH Zürich, den Regierungen der USA und der EU, unzähligen Spekulanten selbst und vielen mehr. Sie will die Zockerei auf Lebensmittel deshalb verbieten. Ein solches Verbot würde für die Spekulanten natürlich finanzielle Mindereinnahmen mit sich bringen, weshalb es nicht erstaunt, dass sie und ihre politischen Lakaien sich mit aller Kraft dagegen wehren. Wenn es sein muss mit dem Verbiegen der Wahrheit.
Aber der Reihe nach: Im Hinblick auf die Abstimmung über die Spekulationsstopp-Initiative und unmittelbar vor der Nationalratsdebatte musste also gezeigt werden, dass die Spekulation keinen Einfluss auf die Preisbildung hat und damit unnötig ist. Dies ist auch dem Fazit der Studie zu entnehmen, wo es heisst: «…kann mehrheitlich kein Effekt von Spekulation auf die Rohstoffmärkte festgestellt werden. Wenn ein Effekt gefunden wird, ist dieser mehrheitlich uneinheitlich oder klar abschwächend.»
Es lohnt sich, einen Blick in die Metastudie selbst zu werfen, um die Aussage der Untersuchung zu verstehen. Mit einbezogen wurde nämlich nicht nur der Einfluss von Spekulation auf Rohstoffpreise, sondern auf fünf Fokusvariablen:
- Rohstoff-Spot und Future-Preisniveaus oder -trends,
- Renditen,
- Future-Preisspreads,
- Volatilität,
- Spillover-Effekte zwischen Finanzmärkten und Rohstoffpreisen.
Für die Einschätzung der Wirkung der Initiative ist allerdings nur ersteres, also der Einfluss der Spekulation auf die Rohstoffpreise, von Bedeutung. Hier zeigt sich ein anderes Bild: 47 Prozent der untersuchten Studien zeigen einen verstärkenden Effekt auf die Preise, 40 Prozent können keinen Effekt feststellen und 13 Prozent zeigen einen abschwächenden Effekt.
Eine klare Mehrheit der untersuchten Studien weist also einen Zusammenhang zwischen der Spekulation mit Nahrungsmitteln und deren Preisen nach oder kann ihn nicht feststellen. Nur 13 Prozent der Studien meinen, dass Spekulation die Preise stabilisiert. Damit unterstreicht die ganz offiziell von Economiesuisse, der Bankiervereinigung und der Lobby-Organisation Commodity Club gekaufte Metastudie die Argumentation, dass die Spekulation die Rohstoffpreise beeinflusst.
Zu dem in der NZZ und anderswo viel zitierten Ergebnis, die Spekulation habe keinen Einfluss, kommen die Autoren der Studie, indem sie den Einfluss auf alle fünf Fokusvariablen betrachten. Der Einfluss auf andere Variablen wird von den untersuchten Studien tendenziell verneint – was nicht weiter überrascht und von niemandem je in Frage gestellt wurde. Erkenntnisgewinn also gleich Null. Dennoch wurde die angebliche «Neuigkeit» auf allen Kanälen unkritisch verbreitet.
Noch etwas anderes fällt bei der gekauften Studie von Bankiervereinigung und Co. auf: Sie analysiert, dass die Spekulation für höchstens acht Prozent der Preis- und Volatilitätseffekte verantwortlich sei. (Eine Studie der ETH Zürich geht von «mindestens 60 bis 70 Prozent» aus.) Auch dies ist ein starkes Argument für die Initiative, denn – so fasst es die ehemalige deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zusammen – pro Prozentpunkt Preisanstieg steigt die Zahl der Menschen, die von Hunger bedroht sind, um 16 Millionen Menschen an.
Schon für ein halbes Prozent Einfluss würde sich ein überzeugtes Ja zur Initiative und ein wütendes Nein zur Nahrungsmittelspekulation auf dem Buckel der Ärmsten also lohnen. Aber eben: Die Lügenkampagne ist bereits in vollem Gange.