Zuerst muss ich festhalten, dass mein Land nicht verbindlich europäisches Recht mitgestalten will. Das ist der grosse Fehler unserer Europastrategie. Wer nicht mitgestalten will, steht immer abseits, muss immer mit Hilfs- und Krückenkonstruktionen versuchen dabei zu bleiben. Der Bilaterale Weg, der nun erneuert und dauerhaft gefestigt werden soll, ist eine Krücke für eine Schweiz, die in Europa so wenig Mitverantwortung wie möglich sucht. Es ist eine Krücke für die nicht-europawillige Schweiz. Wer Europa zusammen mit allen anderen Ländern international stärken will, kann diese Krücke nicht dauerhaft einfordern.
Die nicht-europawillige Schweiz will nur ein bisschen Europa. Das „bisschen“ entspricht dem wirtschaftspolitischen Realitätssinn, den es halt doch braucht. Denn die Schweiz ist keine Insel. Einfach nicht zu viel und nur das, was uns etwas bringt, so lautet die bundesrätliche Europastrategie. Diese Politik dosiert ihre Interessen wie ein Lobbyist. Zwar will sie baldmöglichst neue wirtschafts-, forschungs- und bildungsrelevante Abkommen, aber sie will am Haus Europa nicht verbindlich mitbauen. Sie will nur – wie ein Lobbyist – „Decision Shaping“ machen. Sie will in Brüssel eigennützig statt gemeinnützig für europäische Rechtsakte zu Gunsten der Schweiz einstehen. Was wird aus einem Land, das eine solche Strategie fährt? Wird man uns in ein paar Jahren noch verstehen?
Unser Aussenminister ist – möglicherweise sogar „contre-coeur“ – ein Vertreter der nicht-europawilligen Schweiz. Er weiss, dass der Bilaterale Weg so nicht mehr weitergehen kann, aber er will den nicht-europawilligen Weg dauerhaft sichern. Er redet klar: „Ich will den Bilateralen Weg für die nächste Generation ermöglichen.“
Kommt dazu, dass mit dem Werweissen um Richter und um die Rolle des Europäischen Gerichtshofes die aktuellen lebensnahen Herausforderungen in Europa und in der Schweiz verpasst werden. Denn die Partizipation am Binnenmarkt ist für unser Land nur eine beschränkte Erfolgsgeschichte. Sie nützt noch nicht allen. Die nicht-europawillige Schweiz will diesen Zustand des Erfolges nur für Wenige beibehalten. Sie senken Unternehmenssteuern, investieren zu wenig in die Ausbildung der hier lebenden Menschen und verhindern weitere soziale Fortschritte wie den Mindestlohn.
Die immer wieder zu hörenden Zweifel an der europäischen Idee richten sich – wenn man genau hinhört – nicht gegen Europa. Die Zweifel richten sich wohl aber gegen ein System, in dem einige Wenige die Gewinne einstreichen und soziale Fortschritte verhindert werden. Die „Institutionalisierung des Bilateralismus“ alleine und ohne soziale innnenpolitische Reformen wird nicht zur breiten Akzeptanz führen. Europawillige Aussenpolitik muss daher bei der Gestaltung innenpolitischer Fortschritte ansetzen, sonst wird sie trotz der „Klärung“ der Institutionellen Frage, scheitern.