Vor einigen Monaten zirkulierte in den Medien eine schockierende und äusserst traurige Nachricht: im Kanton Graubünden war letztes Jahr ein 50-jähriger Mann an den Folgen von Aids gestorben, weil ihm die zum Überleben notwendigen Medikamente nicht bezahlt worden waren. Der Mann figurierte auf der Bündner „Schwarzen Liste für säumige Prämienzahler“. Aus diesem Grund wurde die Kostengutsprache für die überlebensnotwendige Medikation zwei (!) Mal, abgelehnt, obwohl klar war, dass der Patient ohne Behandlung früher oder später an den Folgen der Krankheit sterben würde. Umso trauriger ist es, wenn man bedenkt, dass heute in der Schweiz HIV zwar nicht heilbar ist, aber mit Medikamenten so behandelt werden kann, dass man ein Leben wie alle anderen führen kann. Niemand müsste mehr an dieser Krankheit sterben – nicht so im Kanton Graubünden wegen der schwarzen Liste!
Ähnlich verlief es im Kanton St. Gallen, wo einer Frau auf der schwarzen Liste die Spitalkosten für die Geburt verwehrt blieben, weil es sich nicht um eine Notfallbehandlung, sondern um eine planbare Intervention handelte. Wie zynisch ist denn das? Hätte man im Spital der Frau in Wehen etwa sagen sollen: „Kommen Sie in zwei Monaten wieder, wenn Sie ihre ausstehenden Krankenkassenprämien bezahlt haben“? Zum Glück hat in diesem Fall das Gericht entschieden, dass diese Kosten von der Krankenkasse übernommen werden müssen.
Seit 2012 erlaubt das Krankenversicherungsgesetz (KVG) den Kantonen das Führen so genannt „schwarzer Listen“. Diese führen versicherte Personen auf, die ihrer Prämienpflicht gegenüber der Krankenkasse trotz Betreibungen nicht nachkommen. Mit Ausnahme von Notfallbehandlungen übernehmen die Versicherer für diese Personen keine Kosten mehr und sistieren ihre Leistungen.
Ganz konkret bedeutet das: auf diesen Listen landet, wer kein Anrecht auf Sozialhilfe hat und seine Krankenkasse nach Betreibung und Pfändung nicht mehr bezahlt. Wer ist das? Natürlich nur noch diejenigen, die ihre Prämien wirklich nicht mehr zahlen können. Bei allen anderen wären die Prämien doch schon lange auf irgendeinem andern Weg beglichen worden.
Es trifft also diejenigen Armen, die zu wenig arm sind, um von der sozialen Fürsorge beachtet zu werden, aber gerade genug haben, um zu überleben. Wenn wir bedenken, dass Armut krank machen kann und wenn man schliesslich krank wird, die ärztliche Behandlung nicht mehr bezahlt wird, ist das eine doppelte Bestrafung. Das widerspricht klar dem Geist des KVGs und der Verfassung, gemäss deren niemandem in der Schweiz der Zugang zur notwendigen Behandlung verwehrt bleiben soll, nur weil ihm oder ihr die finanziellen Mittel fehlen.
Spannenderweise war bei der Beratung der Gesetzesänderung die Idee der schwarzen Listen vom Parlament gegen den Willen des Bundesrates eingebracht worden. Und in den neun Kantonen, die diese seit 2012 eingeführt haben, waren die Kantonsregierungen häufig dagegen. Die kantonalen Parlamente erhofften sich, mit dem Druck durch die Listen die „Zahlungsmoral“ zu verbessern. Stattdessen hat die Zahl der säumigen Prämienzahlenden zugenommen. Hinzu kam ein administrativer Mehraufwand für Kantone und Krankenversicherer. Unter dem Strich entstehen Mehrkosten ohne einen Zusatznutzen für irgendjemanden. Aus diesem Grund wird der Kanton Graubünden die schwarzen Listen ab August 2018 nicht mehr führen. Die Kantone Solothurn und Schaffhausen haben diesen Schritt ebenfalls in die Wege geleitet.
Der nächste Schritt liegt auf der Hand: das KVG muss angepasst werden, die Möglichkeit für schwarze Listen muss gestrichen werden. Zu meiner Überraschung sehen das auch weitere Politiker_innen so. Als ich diese Idee laut geäussert und einen entsprechenden Motionsentwurf vorbereitet hatte, fand ich Unterstützung von unerwarteter Seite: ein Teil der bürgerlichen Krankenkassen- und Spital-Vertreter_innen im Nationalrat unterstützten mein Anliegen und waren bereit, die Motion zu unterzeichnen. Deshalb habe ich sie mit Unterschriften aus allen Fraktionen einreichen können und bin zuversichtlich, dass sie auch im Parlament eine Mehrheit finden kann.
Das System der schwarzen Listen verstösst gegen das Solidaritätsprinzip und gegen das verfassungsmässige Recht auf Leben und medizinische Pflege. Deshalb kämpfen wir gemeinsam für deren Abschaffung, zusammen mit den Krankenversicherern, den Spitälern, einem Teil der Kantone und vor allem mit Euch allen!