Die Schweizer Aussenpolitik ist auf Abwegen. Sei es beim Waffenexport in Bürgerkriegsländer, dem Besuch einer Glencore-Mine in Sambia, der Nicht-Unterzeichnung des Uno-Migrationspakts oder der Weigerung, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen: Seit Ignazio Cassis Aussenminister ist, hat der Bundesrat seine Politik gegenüber dem Ausland geändert. Statt der humanitären Tradition, dem Schutz der Menschenrechte und internationaler Kooperation, geht es ausschliesslich um Profit-Interessen und die Anbiederung an das „Switzerland first“-Dogma der SVP. Der neueste Streich des rechten Bundesrats: Die Erneuerung des bestehenden Freihandelsabkommens der EFTA von 1991 mit der Türkei.
Die Situation in der Türkei ist dramatisch. In den letzten Jahren hat sich die Türkei unter der AKP-Regierung mehr und mehr in einen autoritären Staat verwandelt. Journalistinnen und Journalisten werden verhaftet, Intellektuelle verlieren ihre Stelle und verlassen das Land, in den kurdischen Gebieten wurden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit praktisch ausser Kraft gesetzt. Und mit dem Einmarsch türkischer Truppen in Syrien sabotiert Erdogan nicht nur den Uno-Friedensprozess, er bricht auch zwingendes Völkerrecht. Ein Vorgang, der durch die internationale Staatengemeinschaft eigentlich scharf verurteilt und sanktioniert gehört.
Dies ist der Hintergrund, vor dem in ganz Europa und in der Schweiz Woche für Woche Tausende für Frieden und Demokratie in der Türkei demonstrieren, Hunderte Kurdinnen und Kurden im Hungerstreik sind und Menschenrechtsorganisationen in der Türkei und ausserhalb für die Einhaltung grundlegender Freiheiten kämpfen.
Beim vom Bundesrat beschlossenen und vom Ständerat bereits genehmigten aktualisierten Freihandelsabkommen mit der Türkei geht es im Kern um einige technische Vorschriften für bereits heute zollfrei exportierte Industriegüter. Zudem soll der Schutz des geistigen Eigentums und über minimale Anpassungen im Landwirtschaftsabkommen der Verkauf von Käse und Schoggi verbessert werden. Damit bringt die Modernisierung des Abkommens auch für die Schweizer Export-Branche kaum relevanten wirtschaftlichen Nutzen. Aufgrund der aktuellen Lage sind Unternehmen ohnehin sehr zurückhaltend mit neuen Investitionen und ziehen sich sogar aus der Türkei zurück.
Mit einem im Abkommen neu eingefügten Nachhaltigkeitskapitel droht die Schweiz sich aber zu Erdogans Komplizin zu machen. Nachhaltigkeitskapitel sind an sich eine sehr gute Sache und werden von der SP seit jeher unterstützt. Voraussetzung ist allerdings, dass auch effektiv ein Wille besteht, sie umzusetzen. Ansonsten bleiben sie toter Buchstabe. Im Fall der Türkei ist dies mehr als wahrscheinlich. Damit würde unser Land Schönfärberei für die türkische Regierung betreiben. Denn die Schweiz bestätigt im neuen Abkommen, dass die Türkei internationale Übereinkommen und die Menschenrechte einhält. Sanktionsmechanismen, falls sie dies nicht tut, fehlen gänzlich. Damit gefährdet das geplante Abkommen mit der Türkei die Glaubwürdigkeit aller seit 2010 eingeführten Nachhaltigkeitskapitel bei Handelsabkommen. Ein Schaden, der weit über den Fall Türkei hinaus angerichtet wird.
Dass sich der Bundesrat anschickt, für ein paar zusätzlich exportierte Kopfwehtabletten die Glaubwürdigkeit der Schweiz in der Region zu opfern und allen in den Rücken zu fallen, die sich für eine bessere Türkei einsetzen, ist skandalös. Würde der Nationalrat das Abkommen sistieren, bis sich die Menschenrechtslage in der Türkei merklich verbessert hat, wäre dies ein unmissverständliches Zeichen an Ankara: so nicht! Der Preis einer solchen Geste für die Schweiz wäre tief. Die moralische Unterstützung für die Menschen vor Ort wäre hingegen unbezahlbar.
Die von der Plattform für Frieden und Demokratie lancierte Petition für eine Sistierung des Türkei-Abkommens, die hier unterzeichnet werden kann, ist deshalb zu unterstützen.