Die Schweiz und Europa müssen in der Flüchtlingspolitik Verantwortung übernehmen

Erklärung an der SP-Delegiertenversammlung vom 25. April 2015 in Bern. Unterzeichnet von Ada Marra (VD), Cesla Amarelle (VD), Mario Carera (VD), Marina Carobbio (TI), Roger Nordmann (VD), Carlo Sommaruga (GE), Eric Voruz (VD).

Die letzten Tage haben uns eine schreckliche Tatsache in Erinnerung gerufen, nämlich dass das Mittelmeer für Hunderte von Menschen zum Grab geworden ist. Die letzten Schätzungen sprechen von 1800 Toten seit Anfang Jahr. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) geht davon aus, dass in den letzten 15 Jahren 22’000 Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen, ums Leben gekommen sind. Und noch eine Zahl: Drei von vier Migranten, die im Jahr 2014 umgekommen sind, starben im Mittelmeer.

Neben diesen Toten gibt es Tausende Menschen, die es an die Küsten Europas schaffen. Gemäss UNHCR sind seit Januar 2015 36’390 Personen per Schiff nach Südeuropa gekommen. Flüchtlingswellen haben stets mehrere Ursachen, nicht zuletzt die Verschlimmerung der Konflikte auf der ganzen Welt. Der Grossteil der Menschen auf den Todesschiffen stammt denn auch aus Eritrea, Somalia oder Syrien.

Das Abkommen von Dublin legt fest, dass das erste europäische Land, das die Migrantinnen und Migranten erreichen, für die Behandlung der Asylanträge zuständig ist. Darum hat die Schweiz 2013 über 3500 Personen zurückgeschickt, die meisten in Richtung Italien, ohne ihre Dossiers zu behandeln, da laut Dublin Italien die Verantwortung trägt.

Diese Länder fordern seit Monaten lautstark mehr europäische Solidarität. Sie haben weder die Infrastruktur, um die Asylanträge zu behandeln noch die nötigen Mittel, um die Rettungsoperationen auf hoher See alleine zu stemmen. Die Operation Mare Nostrum, die es der Küstenwache erlaubt hat, vor der lybischen Küste zu operieren und Leben zu retten, wurde mangels Finanzmittel eingestellt. Abgelöst wurde sie von der Operation Triton, die jedoch nur entlang der europäischen Küsten tätig ist. Die Folge davon ist ein Anstieg der Todesfälle im Mittelmeer. Und erst angesichts von Katastrophen mit Hunderten Toten hat sich die EU schliesslich für mehr Solidarität mit den Ländern Südeuropas entschieden.

Auch die Schweiz unternimmt etwas. Auf Initiative des Parlaments und von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga will die Schweiz mehr Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, insgesamt 3000 Menschen. Dieser Vorschlag wurde noch vor den jüngsten tragischen Ereignissen vorgebracht.

In der jetzigen Situation braucht es Hilfe auf mehreren Ebenen: Auf diplomatischer Ebene muss alles unternommen werden, um die Konflikte zu beenden. Daneben braucht es dringende Massnahmen, um weitere Tote im Mittelmeer zu verhindern. Und wir müssen die Aufnahme der Flüchtlinge verbessern und die Verteilung der Menschen innerhalb Europas regeln.

Tatsächlich stösst eine zentrale Regel des Dublin-Abkommens an seine Grenzen. Dublin ist ein Schönwetterabkommen. Die Krise zeigt allerdings, dass die Regel, alle Asylbewerberinnen und Asylbewerber ins Ankunftsland zurückzuschicken, nicht mehr funktioniert. Die Regel, dass nur das Ankunftsland zuständig ist, muss geändert werden. Nur so gelingt es, dass alle Länder des Kontinents Verantwortung übernehmen und Flüchtlingskontingente aufnehmen. Und zwar deutlich mehr als die 5000 Menschen, auf die sich die europäischen Minister an den zwei Gipfeltreffen von letzter Woche geeinigt haben. Zur Erinnerung: Die Nachbarländer Syriens alleine beherbergen zurzeit rund 4 Millionen Flüchtlinge.

Aus diesem Grund muss sich die SP Schweiz für folgende Ziele einsetzen:

  1. Die Schweiz muss deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen, unabhängig von ihrer Herkunft. Tatsächlich scheint der Weg über Kontingente derzeit der gerechteste zu sein. Die Schweiz muss ihre Bemühungen fortsetzen und die anderen Schengen-Länder auffordern, ebenfalls genügend grosse Kontingente aufzunehmen.
  2. Die mit Mare Nostrum verfolgten Ziele müssen wieder aufgenommen werden. Wenn die EU mehr Finanzmittel beschliesst, so dürfen diese nicht allein zu Überwachungszwecken verwendet werden, sondern vor allem dafür, Schiffbrüchigen zu helfen und zu verhindern, dass noch mehr Menschen sterben.
  3. Die SP wird sich im Parlament dafür einsetzen, dass die Mittel an Länder in Krisenregionen wie Libanon oder Jordanien, die Millionen von Flüchtlingen aufgenommen haben, erhöht werden. Beschlossen wurde eine Summe von 50 Millionen Franken. Das reicht nicht. Ein Teil dieses Geldes muss ausserdem den Menschen zu Gute kommen, die noch immer in den Konfliktgebieten leben.
  4. Schliesslich ist es Zeit, sich Sofortmassnahmen zu überlegen, um die mangelnde Solidarität innerhalb des Dublin-Systems auszugleichen und mittelfristig zu verbessern. Wir müssen unsere Forderung an den Bundesrat wiederholen, die «Ermessensklausel» anzuwenden, die es erlauben würde, Rückführungen nach Italien, Griechenland oder Malta auszusetzen. Und das rasch. Denn es ist widersinnig, grössere Kontingente zu fordern und gleichzeitig weiterhin Flüchtlinge in die Ankunftsländer zurückzuschicken.

Die Konsequenz daraus ist, dass wir in der Schweiz mehr Asylgesuche behandeln müssen. Das wiederum heisst, dass die Kantone vom Bund die logistischen und finanziellen Mittel dazu erhalten müssen und für ihre Bemühungen entschädigt werden. 

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