2005 hat die Genfer Nationalrätin und ehemalige SP-Frauen-Präsidentin, Maria Bernasconi, den Bundesrat dazu aufgefordert, sich stärker gegen die sexuelle Verstümmelung von Mädchen und Frauen in der Schweiz einzusetzen. Die Motion wurde damals vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen – mit Verweis auf die hohen Kosten, welche die zusätzliche Präventions- und Sensibilisierungsmassnahmen mit sich bringen würden. Jetzt, zehn Jahre später und nach Annahme der Motion durch das Parlament, haben unsere Bundesrätinnen und Bundesräte einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Der Bundesrat unterstützt neu ein Netzwerk, das sich für die Verhinderung dieser für Mädchen und Frauen oft lebensgefährlichen Eingriffe einsetzen wird. Dieses Netzwerk wird durch verschiedene Organisationen aufgebaut und soll betroffene Mädchen und Frauen, aber auch Fachpersonen, sensibilisieren, informieren und beraten.
Eine Straftat mit lebenslangen Folgen
Seit 2012 ist weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz eine Straftat. Die Beschneidungen, die oft ohne Betäubung und ohne die notwendige Hygiene durchgeführt werden, sind mit grossen gesundheitlichen Risiken verbunden. Gemäss der WHO führt der Eingriff bei zehn Prozent aller Betroffenen sogar zum Tod. Bei der insbesondere in westlichen und nordöstlichen Ländern Afrikas traditionellen Beschneidung werden Klitoris und Schamlippen entfernt, das verstümmelte weibliche Genital wird anschliessend teils zugenäht. Dieser Eingriff soll die Jungfräulichkeit bis hin zur Hochzeit garantieren. Je nach Tradition werden die Nähte vor einer Hochzeit entweder in einem Spital oder durch den Sexualpartner selbst wieder geöffnet. Ein natürliches Sexualleben ist durch diese Verstümmelung unmöglich – das weibliche Geschlechtsteil wird zur Wunde, der Sexualakt ist mit grossen Schmerzen verbunden. Oft sind die Opfer nicht mehr in der Lage, sexuell etwas zu empfinden – sie sind nahezu kastriert. Den betroffenen Mädchen und Frauen wird damit die sexuelle Selbstbestimmung genommen. Die Genitalverstümmelung ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der oftmals noch Minderjährigen. Dieser ist nicht reversibel und hat lebenslange psychische und physische Folgen. Die weibliche Genitalverstümmelung ist deshalb nicht nur ein Strafakt, sondern auch eine Menschenrechtsverletzung.
Die Zahl der Betroffenen nimmt zu
Gemäss Schätzungen des Bundes sind dennoch rund 15‘000 Mädchen und Frauen, die in der Schweiz leben, davon betroffen oder gefährdet. Die Zahlen sind in den letzten Jahren stark gestiegen: 2001 ging man beispielsweise von 6600 Betroffenen aus, 2010 von 10‘700. Dass die Anzahl der betroffenen Frauen und Mädchen in den letzten Jahren so stark angestiegen sind, ist durch die zunehmenden Asylgesuche aus Ländern wie Eritrea oder Somalia zu begründen. In diesen Ländern sind 90 bis 100 Prozent aller Frauen beschnitten. Aber nicht nur Frauen, die in die Schweiz einreisen, sind beschnitten. Beschneidungen werden auch in der Schweiz durchgeführt – illegal und tabuisiert. Über die Praktiken in der Schweiz ist nur wenig bekannt.
Auch ich habe mich in den letzten Jahren immer wieder für eine verbesserte Präventionsarbeit und Informationskampagnen zu diesem Thema eingesetzt1. Dass der Bundesrat ein Netzwerk, das sich gegen die weibliche Genitalverstümmelung einsetzt und die Sensibilisierung dafür mitunter auch bei medizinischen Fachpersonen stärkt, ist sehr zu begrüssen. Gleichermassen hat der Bundesrat eine wichtige Frage nicht beantwortet: Wer bezahlt die Angebote des neu einzurichtenden Netzwerkes? Welche Rolle übernimmt hier der Bund? Ich schliesse mich deshalb der Meinung verschiedenster Fachorganisationen wie beispielsweise Terre des Femmes an: Sie begrüssen den Entscheid des Bundesrates, fordern aber auch mit Nachdruck eine nationale Strategie, Datenerhebung, Monitoring und Evaluation zur Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung. Der Bund muss dabei eine Leadfunktion einnehmen. Nur so können wir der weiblichen Genitalverstümmelung in der Schweiz effektiv und langfristig begegnen.
1 Beispielsweise mit einer Anfrage an den Bundesrat (Nulltoleranz bei FGM, 2015) oder einer Interpellation zu Präventionsmassnahmen (Female Genital Mutilation. Präventionsmassnahmen des Bundes, 2013).