Eine Konzerninitiative für die öffentliche Hand

Bund, Kantone und Gemeinden geben jedes Jahr 40 Milliarden Franken im öffentlichen Beschaffungswesen aus – für Polizeihemden, Putzmittel, Passerellen oder Panzergranaten. Neu sind für die Auftragsvergabe Nachhaltigkeits-Kriterien entscheidend, nicht bloss der Preis. Welche Hebelwirkung dies entfaltet, erklärt Marc Steiner, Richter am Bundesverwaltungsgericht. Er äussert hier seine persönliche Meinung.

Pia Wildberger

Marc, was bedeutet Nachhaltigkeit in Bezug auf das öffentliche Beschaffungswesen?

Marc Steiner: Nachhaltigkeit wird nach neuem Beschaffungsrecht so verstanden, wie der Begriff in der Bundesverfassung steht: Er hat eine ökonomische, eine ökologische und eine soziale Komponente. Zugleich setzt die Vergaberechtsreform eines der Uno-Ziele für nachhaltige Entwicklung um. Wir müssen unseren Konsum so gestalten, dass auch künftige Generationen ihre Konsumbedürfnisse befriedigen können. Letzten Endes ist damit die planetare Systemstabilität gemeint.

Was ist daran neu?

Das Beschaffungsgesetz gilt seit 2021 auf Bundesebene, und der Kanton Zürich ist letzten Herbst der entsprechenden Interkantonalen Vereinbarung beigetreten. Damit ist der «point of no return» erreicht. Das Gesetz hat eine über zwanzigjährige Vorgeschichte. Zuerst musste man die föderalen Widerstände überwinden und aufzeigen, dass einheitliche nationale Regeln auch für das Gewerbe Sinn machen. Früher war ein Schreiner für Aufträge der öffentlichen Hand im Umkreis von 100 Kilometer mit sieben verschiedenen Regularien konfrontiert. Einheitliche Regeln waren daher ein grosser Wurf. Was man sich wenig bewusst ist: Es geht insgesamt um über 40 Milliarden Franken – von den Behörden auf allen Ebenen, den Energieversorgern, den Verkehrsbetrieben etc.

Entscheidend für die Vergabe ist für die Behörden der Preis, stimmt das?

Aus neoliberaler Sicht ist der möglichst intensive Preiswettbewerb das Hauptziel. Obwohl das Parlament bereits früher die Qualität zum Thema gemacht hatte, bildete sich nach 1996 eine zu stark neoliberale Vergabekultur heraus. Der Preis wurde viel zu hoch, die Qualität und Langlebigkeit wurden viel zu wenig gewichtet. Das neue Recht setzt nun noch deutlicher auf mehr Qualität und macht damit einen Schritt in Richtung Vollkostenrechnung.

Was führte zum Umdenken?

Die Anbieter hatten von den falschen Preis-Anreizen die Schnauze gestrichen voll. Wenn man als Staat zu billig einkauft, bevorzugt das die falsche Sorte Anbieter. Besonders in der Bauindustrie setzte sich die Idee durch, dass es im eigenen Interesse ist, wenn bei Vergabeentscheiden die Qualität höher gewichtet würde. Etliche Wirtschaftsverbände folgten der Bauindustrie und wehrten sich gegen die economiesuisse, die im Rahmen der Vernehmlassung das übliche ordnungspolitische Blabla von sich gab. Im Parlament ist es dann einer Reihe von Akteuren gelungen, die Verbände gegen den Dachverband Economiesuisse zu kehren. Aus linker Sicht kommen da Weihnachten und Ostern zusammen – das hat Freude gemacht.

"Aus linker Sicht kommen da Weihnachten und Ostern zusammen – das hat Freude gemacht."


Was wurde denn beschlossen?

Nachhaltigkeit ist nun als Vergabekriterium und Gesetzesziel festgelegt worden – ökologisch, sozial und ökonomisch. Das Beschaffungsrecht wurde de facto zur Blaupause für anständige Globalisierung beziehungsweise Konzernverantwortung für die öffentliche Hand.

Was bedeuten die neuen Regeln konkret? Kannst du ein Beispiel machen?

Betroffen ist die ganze Lieferkette, beispielsweise bei der Beschaffung von Uniformen im Ausland. Mit dieser neuen Philosophie kann man nicht nur Kinder- und Zwangsarbeit ausschliessen, sondern auch über Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz oder Sicherheitsvorschriften sprechen. Man erhöht so die Standards in den globalen Lieferketten, was zu einer anständigeren Globalisierung führt. Schweizer Beamte lassen Audits durchführen oder reisen selbst vor Ort und vertrauen im Hochrisikobereich nicht mehr auf Selbstdeklarationen. Das erhöht den Druck auf die ganze Textilbranche. Was Armasuisse kann, kann auch Primark.

Inwiefern sind Kantone und Gemeinden betroffen?

Es geht um viel Geld. 80 Prozent des Beschaffungswesens entfällt auf Kantone und Gemeinden, rund 32 Milliarden Franken. Von WC-Papier über Putzmittel, von der IT zu den Kommunalfahrzeugen – Kleinvieh macht viel Mist. Jede Energiestadt Gold und jede Fair Trade Town verändert die Welt.

Wie sollen Gemeinden vorgehen?

Grosse Städte wie Zürich und Bern haben das öffentliche Beschaffungswesen im Griff. Kleinere Gemeinden haben da mehr Mühe. Mittelfristig werden sie nicht darum herumkommen, vermehrt zusammenzuarbeiten. In vielen Dingen kooperieren sie bereits heute in Zweckverbänden, bei Kläranlagen, in der Forstwirtschaft, in den Schulen. Für eine einzelne kleine Gemeinde ist es jedoch eine grosse Herausforderung, eine Beschaffungsstrategie auszuarbeiten und das neue Recht mit ganzheitlichem Blick anzuwenden. Hier sind auch die Kantone gefordert, die die Gemeinden unterstützen müssen.

Zur Person

Marc Steiner, 56, ist SP-Mitglied und seit 2007 Bundesverwal­tungsrichter. Der Basler lebt in Bern und St. Gallen und publiziert zum Thema Vergaberecht und Nachhaltigkeit. Er bringt seine Haltung immer wieder an Fachtagungen und Gremien ein, etwa vor dem Binnenmarktaus­schuss des Europäischen Parlamen­ts (2011), dem WTO-Symposium zur nachhaltigen Beschaffung (2017) oder am Climate Law and Governance Day in Dubai (COP28), aber auch parteiintern, beispielsweise an der SP-Kommunaltagung in Belp.

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