„Es braucht eine migrantische Wohnpolitik“

Sinem Gökçem und Reis Luzhnica haben vor knapp einem halben Jahr das Präsidium der SP Migrant:innen übernommen. Bereits Ende Woche steht die erste Delegiertenversammlung unter ihrer Ägide an. Wo setzen sie neue Schwerpunkte?

Interview: Pia Wildberger

 

Wie seid Ihr ins Co-Präsidium gestartet?

Reis: Sinem und ich haben rasch gemerkt, dass wir ähnliche Ideen haben und uns gut verstehen…

Sinem: …Darum haben wir uns auch für ein Co-Präsidium beworben. Es bewährt sich.

Wo setzt Ihr die Schwerpunkte?

Reis: Ende Woche findet die Delegiertenversammlung der SP Migrant:innen statt. Schwerpunktmässig werden wir unter anderem über die Chancengleichheit in der Bildung und die Frühförderung von Kindern debattieren. Wir möchten unsere Mitglieder, aber auch die SP und die Community, für das Thema Diskriminierung sensibilisieren. Migrant:innen bezahlen zum Beispiel höhere Versicherungsprämien fürs Auto, je nachdem welche Farbe ihr Pass hat. Das ist häufig nicht einmal den Betroffenen selbst bewusst.

Sinem: Wir möchten auch für Themen sensibilisieren, die manchmal vergessen gehen. Zum Beispiel für die Schwierigkeiten, mit denen Minderjährige bei der Einbürgerung konfrontiert sind. Je nachdem, in welchem Kanton oder Gemeinde sie wohnen, werden ihre Kinderrechte grob missachtet. Es kommt nicht von ungefähr, dass die SP Migrant:innen sehr viele Unterschriften für die Demokratie-Initiative gesammelt haben.

Wie wollt Ihr die Anliegen der Migrant:innen noch stärker vertreten?

Reis: Uns ist die Vernetzung ein sehr grosses Anliegen. Wir wollen die SP Migrant:innen noch mehr mit anderen migrantischen Gruppierungen vernetzen. Es geht darum, die Migrant:innen zu stärken, die Sichtbarkeit zu erhöhen und es geht um Erfahrungen, die Migrant:innen trotz unterschiedlicher Herkunft teilen. Gemeinsam sind wir stärker.

Wo stellt Ihr Diskriminierung fest?

Sinem: Auf dem Wohnungsmarkt sind Migrant:innen benachteiligt. Zudem sind sie häufig in Niedriglohnbranchen tätig und können die Mieten in den Zentren nicht bezahlen. Es braucht eine migrantische Wohnpolitik. Man muss sich bewusst sein, dass vieles miteinander verknüpft ist. Der Wohnort ist entscheidend für die Inklusionsmöglichkeiten von Migrant:innen. Wenn sie abgelegen wohnen, weil sie sich keine andere Wohnung leisten können, ist der Deutschkurs oder der Fussballverein ausser Reichweite. Mir ist ein Fall bekannt, bei dem Primarschulkinder mehrmals wöchentlich um 6 Uhr morgens den Bus nehmen müssen, um den Deutsch-Stützkurs in einem Nachbardorf besuchen zu können. Je nach Aufenthaltsbewilligung können die Menschen gar nicht wählen, wo sie wohnen. Dabei ist Wohnen ein Grundbedürfnis!

Was steht nach der Delegiertenversammlung an?

Reis: Uns ist wichtig, näher an der Basis die Themen zu sammeln. Der Zugang zu den SP Migrant:innen soll einfacher werden. Mit der Vernetzung in den Kantonen machen wir den Anfang.

Mit frischem Wind auf Erfolgskurs

Sinem Gökçem und Reis Luzhnica haben im Juni dieses Jahres die Leitung der SP Migrant:innen von Gründungspräsident Mustafa Atici übernommen, der als Regierungsrat von Basel-Stadt den Stab an das Co-Präsidium weitergereicht hat. Sinem, 38, ist Gerichtsschreiberin im Kanton Aargau und Reis, 34, Inhaber einer Druckerei in Zürich Altstetten. Ziel der SP Migrant:innen ist die Gleichstellung im gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich sowie die Verhinderung von Diskriminierung und Durchsetzung der Menschenrechte.

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