Existiert die diplomatische Schweiz noch?

Aussenpolitik

Carlo Sommaruga | Während Russland internationales Recht verletzt und im Handstreich die Krim annektiert; während es keine Zweifel mehr gibt, dass Russland die ukrainischen Rebellen unterstützt, die einen Sezessionskrieg führen; während sich ein ukrainisches Lockerbie mit hunderten unschuldigen Toten quasi vor unseren Augen ereignet;

Die Schweiz hüllt sich ins Schweigen der Neutralität. Die Schweiz versteckt sich hinter einer OSZE-Präsidentschaft, die leider nur atemlos den Ereignissen hinterherrennt, ohne Möglichkeit, vorausschauend zu handeln. Während die Genfer Konventionen und ihre Zusätze von der Hamas – wie seit Jahrzehnten von Israel -, als auch in Syrien, im Irak oder in Libyen mit den Füssen getreten werden, bleibt die Schweiz als Depositarstaat dieser Texte stumm. Schlimmer noch: Obwohl sie dazu aufgefordert wird, weigert sich die Schweiz, die Konferenz der Vertragsparteien der Menschenrechte einzuberufen und den israelischen Angriff auf Gaza zu untersuchen, weil sich Israel dagegen wehrt. 

Was ist nur mit der Schweizer Diplomatie passiert? Eine Diplomatie, die sich zu Zeiten der Sozialdemokratin Micheline Calmy Rey laut und stark auf der internationalen Bühne bemerkbar machte. Eine Diplomatie, die alle in einen Konflikt involvierten Akteure, zum Beispiel im Libanonkrieg, an die unbedingte Verpflichtung erinnerte, das internationale Recht und insbesondere das internationale Völkerrecht zu respektieren. Was ist mit der politischen Courage des Freisinns, am Beispiel von Max Petitpierre, passiert, dank der die Schweiz als erstes Land die Volksrepublik China anerkannt hat? Heute hingegen anerkennt die Schweiz Palästina nach wie vor nicht, obwohl sie offiziell eine Friedenslösung basierend auf zwei Staaten anstrebt. 

In seinem Bericht über die aussenpolitische Strategie 2012-2015 bekräftigt der Bundesrat folgendes: „Unser langjähriges Engagement für die Einhaltung, Förderung und Stärkung des humanitären Völkerrechts entspricht der humanitären Tradition unserer Landes als Depositarstaat der Genfer Konventionen und Sitz des IKRK, und ist gut mit unserer Neutralität vereinbar“. Die traurige Realität zeigt allerdings, dass dieser Bericht abgesehen von einigen zögerlichen Communiqués nur eine Aneinanderreihung von schönen Worten ohne Konsequenzen bleibt. 

Wie kann der Bundesrat ernsthaft die Einhaltung des humanitären Völkerrechts einfordern, wenn die Schweiz als Land – ohne jetzt auf den besonderen Status als Depositarstaat einzugehen – nichts unternimmt, um ein Land wie Israel, das seit 47 Jahren diese Rechte verletzt, zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen? Dies obwohl der internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) in seinem Urteil zum Bau der israelischen Mauer auf palästinensischem Territorium daran erinnert hat, dass jeder Staat dafür verantwortlich ist, Massnahmen zu ergreifen, damit jene Länder, welche die Menschenrechte missachten, diese künftig respektieren. Schlimmer noch, die Schweiz ist im Begriff – ausserhalb jeglicher moralischer Verpflichtungen, jeglicher Kohärenz und auch jeglicher juristischer Verpflichtungen seitens IGH – militärische Drohnen von Israel zu kaufen, die von der israelischen Rüstungsindustrie produziert und im völkerrechtswidrigen Angriff auf Gaza getestet werden. Dies nur, um gute Beziehungen im Bereich Militär und Geheimdienst mit Israel aufrecht zu erhalten. 

Die Basis der SP erinnert uns regelmässig daran, dass es notwendig ist, sich im Zusammenhang mit dem humanitären Völkerrecht kohärent zu verhalten. So hat der letzte Parteitag der SP Schweiz eine Resolution angenommen, die unsere Partei ganz klar dazu verpflichtet, sich im Parlament gegen den Kauf dieser israelischen Drohnen einzusetzen. 

Was die Umsetzung und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts betrifft, so ist es höchste Zeit, dass der Bundesrat aufwacht, dass sich das EDA an seine Pflichten erinnert und dass das Parlament seine Verantwortung wahrnimmt. Die Schweiz muss eine aktive Rolle spielen, wenn es um die Einhaltung des internationalen Völkerrechts geht. Zum Beispiel soll die Schweiz im aktuellen Gaza-Konflikt gemeinsam mit anderen Staaten Lösungsvorschläge einbringen, um insbesondere die Isolation des Gazastreifens und des Westjordanlands zu beenden. Diese Lösung muss eine internationale Kontrolle der Grenzen beinhalten, um die Sicherheit beider Seiten innerhalb der Grenzen von 1967 zu gewährleisten und um das unverzichtbare Vertrauen für den freien Verkehr von Personen, Waren und Kapital aufzubauen, auf welchem ein dauerhafter Frieden entstehen kann. 

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