Apoell feministischen Plattform an den Bundesrat und an den Krisenstab des Bundesrates zur Bewältigung der Corona-Krise, 6. Juni 2020.
Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte
Sehr geehrte Damen und Herren
Plötzlich waren wir wichtig – sogar «systemrelevant» – all die Frauen, die im Detailhandel, in der Gesundheitsversorgung, in der Reinigung, in der Kinderbetreuung und zu Hause den Laden am Laufen halten. 69 Prozent des gesamten Arbeitsvolumens in der Schweiz wird im Sorge- und Versorgungssektor geleistet, Frauen leisten über 60 Prozent dieser Arbeit. Im Gesundheitswesen, in Altersheimen, Kitas, Tagesschulen und Schulen, im Detailhandel, in der Gastronomie. Und unbezahlt in den Haushalten. Wir nennen diese Arbeit auch Care-Arbeit. Care-Arbeit ist Grundversorgung. Und Care-Arbeit ist mehr als die Hälfte der Wirtschaft.
Wir Frauen verfügen über eine enorme Erfahrung und Expertise in den Bereichen, die zur Bewältigung dieser Krise zentral sind und trotzdem werden wir weder als Expertinnen noch als Betroffene ernst genommen. Männer managen die Krise an uns vorbei. Damit ist jetzt Schluss!
Wir wurden zwei Monate isoliert und zu Hause eingesperrt. Aber das zu Hause ist für einige Frauen und Kinder kein sicherer Ort. Es wurde plötzlich unmöglich, sich aus dem Weg zu gehen. Krisen und Konflikte waren vorprogrammiert. Dringend benötigte Entlastung durch Freundinnen oder Verwandte fiel und fällt teilweise immer noch weg. Die Plätze in den Frauenhäusern und die Ressourcen der Beratungsstellen waren schon vor der Krise knapp. Damit ist jetzt Schluss!
Jede der vergangenen Wirtschaftskrisen hat gezeigt, dass sich bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verschärfen. Und dass diese Ungleichheiten auch danach, beispielsweise durch staatliche Sparmassnahmen als Reaktion auf die Krise, grösser werden. Frauen arbeiten gemessen am gesamten Arbeitsvolumen in der Schweiz ungefähr gleich viele Arbeitsstunden wie Männer und verfügen trotzdem über rund 100 Milliarden Franken weniger Einkommen jährlich. Es ist zu befürchten, dass sich diese riesige Einkommenslücke als Folge der Krise noch vergrössern wird. Mit ungeahnten Auswirkungen auf die ökonomische und soziale Sicherheit von uns Frauen. Damit ist jetzt Schluss!
Auch weitere Themen, die uns betreffen wie Migration, illegaler Aufenthalt, Pflege von Angehörigen, Nachbarschaftshilfe, die Doppel- oder gar Dreifachbelastung der Mütter durch Kinderbetreuung, Home-Schooling und Home-Office etc. wurden und werden nur ungenügend berücksichtigt. Es gibt kein Papier des Bundesrates, das die Leistungen der Frauen und die gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise thematisiert. Damit ist jetzt Schluss!
Der aktuelle Krisenstab des Bundes repräsentiert weder unsere Arbeit, noch unsere legitimen Forderungen und Anliegen, noch sind wir selbst angemessen vertreten. Von 14 Personen im Krisenstab sind lediglich 2 Frauen. Das ist Ausdruck der extrem ungleichen Verteilung von Macht und politischer Repräsentation zwischen den Geschlechtern. Die einen haben Macht, Geld und Entscheidungsgewalt, die anderen machen den Grossteil der Arbeit. Damit ist jetzt Schluss!
Wir wollen mitreden, mitbestimmen und mitentscheiden. Unsere Arbeit trägt die Gesellschaft, wir sind Expertinnen für unsere Arbeit, unser Leben und unsere Sicherheit. Für die Bewältigung der Krise und darüber hinaus braucht es uns. Denn ohne uns geht nichts!
Aufgrund der breiten Unterstützung des Appells von 42 Frauenorganisationen am 31.05.2020 fordern die unterzeichnenden Gruppen 10 Sitze im aktuellen Krisenstab des Bundes: Es braucht dringend Gesundheitspersonal, Hebammen, Kinderbetreuerinnen, Mütter, Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen, Migrantinnen, Reinigungspersonal, Hausfrauen und Beschäftigte aus dem Detailhandel und der Gastronomie im Krisenstab des Bundes.
Wir erwarten sehr gerne Ihre unmittelbare Kontaktaufnahme.
Für die feministische Vertretung im Krisenstab mit den besten Grüssen
Frauenstreik Aargau / Frauenstreikkoordination Bern / Collectif biennois de la grève féministe / Frauen*streik Glarus / Frauen*streikkollektiv Graubünden / Frauenstreik Solothurn / Frauen*streikkollektiv Thun/BeO / Frauen*streikkollektiv Winterthur / Frauen*streikkollektiv Zürich / Frauen*streikkollektiv Zug /cfd – die feministische Friedensorganisation / EKdM Eidgenössische Kommission dini Mueter / fem! feministische Fakultät / Feministischer Lookdown – Corona-Krise oder Care-Notstand? / nateil14giugno.ch / NGO-Koordination post Bejing Schweiz / SP Frauen* Schweiz / Siebte Schweizer Frauen*synode: Wirtschaft ist Care / Trotzphase / Verein WiC – Wirtschaft ist Care / Wide Switzerland / Xenia Fachstelle für Sexarbeit