Man darf die Schweizer Altersvorsorge mit Fug und Recht als Gesamtkunstwerk bezeichnen. Unsere Vorfahren haben es über Jahrzehnte geschaffen und alle fünf bis zehn Jahre aufdatiert. Mit einer peinlichen Ausnahme: unsere Generation. Seit 20 Jahren ist jede Rentenreform gescheitert. Weil sämtliche Versuche unausgewogen waren und deshalb von der Bevölkerung abgelehnt worden sind.
Trotzdem werden bestimmte Kreise bis heute nicht müde, die AHV schlecht- und ihren Kollaps herbeizureden. Dieser ist aber nie eingetreten, weil die angeblichen Prognosen eben keine Prognosen waren, sondern Projektionen von Vorurteilen.
In den kommenden zehn Jahren wird sich das ändern: Die zahlenmäßig starken Babyboomer-Jahrgänge kommen ins Rentenalter. Die demografische Uhr tickt. Weil die erwerbstätige Generation die Renten der Pensionierten bezahlt, entsteht ein Ungleichgewicht. Das ist aber kein Grund zur Panik, sondern eine Motivation zu tun, was man in der Vergangenheit immer wieder getan hat: die Altersvorsorge à jour bringen.
Neu ist nur etwas. Wenn wir jetzt nicht handeln, schreibt die AHV in wenigen Jahren Defizite in Milliardenhöhe. Genau hier setzt die Altersvorsorge 2020 an. Sie will die AHV und die Pensionskassen für die kommenden zehn Jahre stabilisieren – und dies mithilfe unterschiedlicher Maßnahmen. Das Besondere daran: Viele Bevölkerungsgruppen verzichten auf etwas, damit die Stabilisierung gelingt. Ich denke da an die Erhöhung des Rentenalters für Frauen, die auch mich betrifft, die Senkung der obligatorischen Pensionskassenrenten um zwölf Prozent oder die Abschaffung des Freibetrags für AHV-Bezüger, die weiterarbeiten. Ja, das sind Kröten, die es zu schlucken gilt. Oder ein typisch helvetischer Kompromiss, bei dem alle etwas geben, damit das System stabil bleibt. Entscheidend ist, dass dank der zusätzlichen 70 Franken, die AHV-Neurentnerinnen erhalten, die unteren und mittleren Einkommen besser gestellt werden.
Mehr noch: Wir verhindern damit für etwa zehn Jahre eine Finanzierungsdelle in der AHV. Bei einem Nein werden sich Jahr für Jahr riesige Defizite ansammeln. Der Druck auf die AHV wird derart stark steigen, dass kleine Korrekturen nicht mehr ausreichen werden.
Und genau darauf spekulieren die Rechten. Sie werden mit ihrem Plan B auf drastische Leistungskürzungen drängen. Das ist es nämlich, was sie schon immer wollten: die solidarisch finanzierte AHV schwächen und das individuelle Sparen in der zweiten Säule ausbauen. Nicht zuletzt, weil es für die Banken und Versicherungen Big Business ist, diese Gelder zu verwalten und anzulegen. Allein die Verwaltung der Pensionskassengelder verschlingt jedes Jahr rund fünf Milliarden Franken auf Kosten der Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen, jene der AHV moderate 200 Millionen.
Es ist ein zynisches Spiel, das da abläuft. Da wird behauptet, die Rentner würden bestraft. Dabei wird ihnen nichts weggenommen. Und der Plan B würde die Jungen viel teurer zu stehen kommen. Doch schon heute subventionieren sie die Pensionskassen. Diesen Umlagerung stellt die Reform ab.
In diesen Tagen dreschen die Reformgegner mit einer millionenschwere Kampagne auf uns Stimmbürgerinnen ein. Lassen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, nicht von den Argumenten verwirren. Fragen Sie sich einfach: Wessen Interessen werden da eigentlich vertreten? Dann fällt es leichter, pragmatisch Ja zu sagen zur Reform, die nun vorliegt. Sie begeistert nicht, ist aber solid. Und sie löst die Probleme auf Schweizer Art: Schritt für Schritt. Die nächste Reform wird dann in zehn Jahren folgen.
Text erschienen in der «Zeit» vom 7. September 2017