Frieden und Föderalimus für die Türkei

Türkei-Reise

Beat Jans | Mitte April besuchten wir gewählte Abgeordnete in türkischen Gefängnissen. Diese warten seit Jahren auf einen Gerichtsprozess. Was ihnen vorgeworfen wird, ist das, was Mitglieder des Schweizer Parlamentes immer tun. Sie setzen sich für ihre Region, für Föderalismus und ihre eigene Sprache ein. Zu unserer Überraschung trafen wir nicht auf gebrochene Menschen, sondern auf grosse Hoffnung.

Selma Irmak, Mehmet Hatip Dicle und Kemal Aktaş wurden ins Türkische Parlament gewählt.  Statt in Ankara Gesetze zu beraten, sitzen sie in Diyarbakir in Untersuchungshaft, und das schon seit vier Jahren. Zusammen mit den Nationalräten Martin Naef (SP), Balthasar Glättli (Grüne) und dem Basler Grossrat Mustafa Atici (SP) machte ich mich auf, sie zu besuchen. Zur grossen Überraschung wurde der Besuch von Ankara bewilligt.

Auch den Bürgermeister von Van, Bekir Kaya, konnten wir treffen. Er war 10 Monate in Haft und wurde kurz vor unserer Reise auf freien Fuss gesetzt. Das Verfahren gegen ihn läuft weiter. Kaya ist genauso wie die gewählten Parlamentsabgeordneten ein Exponent der Partei für Frieden und Demokratie (BDP). Diese vertritt die kurdische Minderheit in der Türkei, setzt sich für mehr Autonomie und Föderalismus innerhalb der türkischen Grenzen ein und wird in den kurdischen Gebieten von einer grossen Bevölkerungsmehrheit getragen und gewählt.

Ebenso sprachen wir mit der stellvertretenden Bürgermeisterin von Diyarbakir, Hafize Ipek, mit dem Präsidenten der Anwaltskammer Tahir Elci, mit dem Präsidenten des  Menschenrechtsvereins M. Raci Bilici, sowie dem Präsidenten des demokratisch gesellschaftlichen Kongresses und Alt-Bürgermeister von Diyarbakir, Feridun Celik. Wir ziehen folgende Schlüsse:

Gefangen ohne Gerichtsurteil
In der Kurdenregion der Türkei sind Tausende politischer Gefangener seit Jahren in Untersuchungshaft. Diese Inhaftierungen sind rechtstaatlich kaum zu rechtfertigen, auch wenn sie gestützt auf geltende Gesetze vorgenommen werden. Es handelt sich vielmehr um eine Art „Geiselnahme“ in einem politischen Konflikt. Die Untersuchungsverfahren sind eine Farce, die sich schon über Jahre hinzieht. Den Gefangenen wird nicht die direkte Unterstützung bewaffneter Organisationen wie der PKK vorgeworfen. Sie werden mit dem Vorwurf des oppositionellen Verhaltens konfrontiert, weil sie der Regierungsmeinung öffentlich widersprechen. Sie würden, so der Verdacht, die Einheit des türkischen Nationalstaates gefährden. Die Festnahmen dienen der Einschüchterung aller Kreise, die sich friedlich für eine Anerkennung der Kurden einsetzen. Die Haftbedingungen sind von Gefängnis zu Gefängnis sehr unterschiedlich. Keiner der von uns Befragten hat sich beklagt. Den Gefangenen geht es, soweit wir das beobachten konnten, gut.

Hoffnung auf Dialog
Auch wenn sich die Kurdinnen und Kurden in der Osttürkei grosser staatlicher Willkür ausgesetzt fühlen, so hegen sie doch grosse Hoffnung. Die aktuellen Friedensgespräche zwischen Vertretern der Regierung Erdogan und dem PKK-Führer Abdullah Öcalan werden von allen von uns befragten Vertretern der Politik und der kurdischen Zivilgesellschaft als bedeutungsvoll eingestuft. Alle beurteilen die jüngsten Bemühungen als sehr seriös und sehen darin eine historische Chance, das seit Jahrzehnten anhaltende Blutvergiessen zwischen Kurden und Türken zu beenden. Sie betonen, dass die Kurden keine Abspaltung von der Türkei wollen, sondern dass sie mehr regionale Autonomie im Rahmen der Türkei und die tatsächliche Gewährleistung der fundamentalen Menschenrechte fordern. Sie rufen alle Kurdinnen und Kurden auf, dem Frieden eine Chance zu geben und das grosse erfahrene Leid zu überwinden. Gleichzeitig betonen sie, dass die Entwaffnung der PKK nur einen ersten Abschnitt des Friedensprozesses darstellt, bei dem auch konkrete politische Schritte der Türkei notwendig sind. Dazu gehört eine Verfassungsänderung, welche die Anerkennung der kurdischen Kultur und Sprache verbessert und der grossen kurdischen Minderheit eine bessere Mitsprache ermöglicht.

Unterstützung aus der Schweiz
Zurück in der Schweiz haben wir im Nationalrat Vorstösse eingereicht. Wir bitten den Bundesrat die Türkische Regierung in Ihrem Entscheid zu diesen Verhandlungen zu stärken. So wie das auch die USA getan haben. Wir fordern den Bundesrat auf, seine diplomatischen Dienste anzubieten, um dem Prozess zum Erfolg zu verhelfen. Wir sind überzeugt, dass die Schweiz ihre eigenen positiven Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit und Föderalismus an die Türkei weitergeben kann und soll.

Unser Bericht über diese Reise findet sich hier

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