Riesig war das Interesse, als die Universität Genf letzte Woche im Medienzentrum in Bern ihre Studie präsentierte. Politologe Pascal Sciarini und sein Team hatten im Auftrag der Verwaltungsdelegation der Bundesversammlung den Arbeitsaufwand und das Einkommen der National- und Ständeratsmitglieder untersucht. Es ist sehr begrüssenswert, dass die Parlamentsentschädigung und der Arbeitsaufwand unabhängig untersucht wurden. Die Studie zeigt meines Erachtens denn auch ein realistisches Bild der zeitlichen Belastung und Entlöhnung der Parlamentsmitglieder.
Mythos Milizparlament
Die Sache mit der Zeit: Das Milizparlament gehört – zusammen mit Wilhelm Tell und dem Rütlischwur – zu den grossen Mythen der Schweiz. Mit der Genfer Studie haben wir nun zum ersten Mal Zahlen, die etwas Transparenz schaffen. Sie entmystifizieren und versachlichen damit hoffentlich die Debatte ums Milizparlament: Laut der Studie entspricht ein Nationalratsmandat nämlich einem Beschäftigungsgrad von 87%, ein Ständeratsmandat ist einem 71%-Pensum gleichzusetzen. Die parlamentarische Tätigkeit ist somit deutlich mehr als ein Nebenjob. Zu komplex sind inzwischen die Geschäfte – die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, die Altersvorsorge 2020 oder die Unternehmenssteuerreform III sind nur drei Beispiele. Dazu kommen steigende Ansprüche von Medien, Verbänden und Vereinen sowie Privatpersonen.
Unabhängigkeit gewährleisten
Und wie steht es ums Geld? Das mittlere Brutto-Einkommen beträgt im Nationalrat 63‘000 Franken und 69‘000 Franken im Ständerat für Mitglieder mit einem persönlichen Mitarbeitenden. Die Entlöhnung ist somit sicher nicht überrissen. Und das seit Jahren angekündigte Vorhaben der SVP, die Entschädigungen der Ratsmitglieder drastisch zu senken, ist entsprechend verfehlt. Denn das böte Parlamentarierinnen und Parlamentarier zusätzlichen Anreiz, sich nach lukrativen Nebeneinkünften umzusehen. Doch diese würden die Abhängigkeit der Ratsmitglieder von Lobby-Organisationen, Verbänden und Verwaltungsratsmandaten weiter verstärken. Weil diese grosse Lücke die Genfer Studie nicht untersucht hat, braucht es jetzt zwingend auch Transparenz bei diesen Nebeneinkünften. Nur so kann das Vertrauen in unsere Institutionen gesichert werden. Leider hat die Mehrheit im Nationalrat hierzu in der Vergangenheit verschiedene Vorstösse abgelehnt. Gut gibt es aber private Initiativen – wie beispielsweise Lobbywatch – die etwas Licht ins Dunkel bringen. Und dank der Transparenz-Initiative wird hoffentlich schon bald die Stimmbevölkerung entscheiden können, ob sie etwas mehr Transparenz über die Geldflüsse in der Politik will.
Für ein zeitgemässes Parlament
Ein von Lobbyinteressen und Verfilzung möglichst unabhängiges Parlament braucht nebst Transparenz auch genügend Ressourcen. Zielführend wäre also die stärkere Unterstützung bei der parlamentarischen Arbeit, zum Beispiel durch persönliche Mitarbeitende (die am besten gleich der Bund direkt finanziert). Zeitgemäss wäre auch eine Gleichstellung der Ratsmitglieder mit allen anderen Arbeitnehmenden bezüglich BVG-Rente. Und auch die bessere Vereinbarkeit von Parlamentsmandat und Familienleben muss ernsthaft diskutiert werden.
Ein erster Schritt in diese Richtung hat der Politologe und abtretende TV-Abstimmungsanalyst Claude Longchamp bereits gemacht: „Das Milizsystem ist auf Gemeindeebene ein Segen, auf kantonaler Ebene ein Vorteil und auf Bundesebene eine Fiktion“, sagte er im Interview mit der „NZZ am Sonntag“. Diese Kritik an einem Parlament, in dem Krankenkassenvertreter Gesundheitsgesetze und Banken-Verwaltungsräte Finanzmarktgesetze machen, ist auf jeden Fall berechtigt.