Für eine gerechte und solidarische Schweiz

Margret Kiener Nellen, Nationalrätin BE

Margret Kiener Nellen, Nationalrätin BE
1.-August-Rede auf der Grimmialp im Naturpark Diemtigtal, BE

Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, geht nicht verloren. Albert Schweitzer

Liebe Kinder, Frauen und Männer 

Es ist für mich eine grosse Freude und Ehre, mit Ihnen zusammen hier auf der geschichtsträchtigen Grimmialp BE auf 1214 Metern über Meer unseren Bundesfeiertag zu feiern. 

Ich bedanke mich bei allen Mitwirkenden für die eindrückliche Vorbereitung dieser offiziellen Feier der Gemeinde Diemtigen. Wir feiern hier in einem prächtigen Rahmen: Inmitten der schönsten Alpen Europas, an einem geschichtsreichen Ort, mit vielen Gästen von nah und fern. An einem wolkenlosen Traumtag! 

Mit der Gemeinde Diemtigen verbinden mich als ehemalige Gemeindepräsidentin der Partnergemeinde Bolligen – seit 1977 sind Diemtigen und Bolligen Partnergemeinden! – persönlich viele gute Erinnerungen:

  • Gemeinderatsausflüge und –begegnungen mit Besichtigung der grossen Alpen- und Waldgebiete, von baulichen Befestigungen an Steilhängen sowie vom Wasserbau und vom Strassenbau nach Hochwasser
  • Skitage und Wanderungen in fröhlicher Gesellschaft mit meiner Familie oder mit Bekannten.
  • Einen unvergesslichen Skitag hier auf der Grimmialp und in Schwenden mit Jürg Reber als ehemaligem, sehr geschätztem Präsidenten der Finanzkommission des Grossen Rates.

Geschätzte Anwesende 

Der Bundesfeiertag ist ein Tag zum Feiern, aber auch, um Rückblick und Ausblick halten. Ich möchte Sie fragen: Was gibt es denn überhaupt gemeinsam zu feiern?

Ein gut funktionierender Kanton Bern  
Werfen wir zuerst einen Blick auf unseren Kanton Bern. Haben Sie auch schon den Spruch gehört, im Kanton Bern sei es schwieriger, eine Optimistin oder einen Optimisten zu finden, als eine Stecknadel im Heuhaufen ? Ich finde diesen Spruch jedenfalls nicht begründet: gerade im Kanton Bern sehe ich viele Entwicklungen, über die wir uns heute freuen und die wir durchaus feiern dürfen. 

Zum Beispiel: 

  • Ein gut funktionierendes Angebot an öffentlichen Einrichtungen (Schulen, das Universitätsspital Insel, Regionalspitäler und Heime, Strassen, öffentliche Verkehrsmittel) 
  • Gut organisierte Gemeinden
  • Bern als führenden Industriekanton der Schweiz mit über 90‘000 Arbeitsplätzen 
  • Viele Betriebe, die gut arbeiten, die junge Menschen ausbilden und auch neue Arbeitsplätze schaffen 
  • Unzählige Menschen, vorab Frauen, die sich in der Betreuung und Pflege in Privathaushalten oder Institutionen einsetzen zum Wohl anderer Menschen 
  • Bern ebenfalls als führenden Landwirtschaftskanton mit einer Landwirtschaft, die unsere Teller füllt, die Landschaft vorbildlich pflegt und grosse Anstrengungen macht, um naturnah zu produzieren – gerade auch hier im Diemtigtal 
  • Einen konkurrenzfähigen Tourismus und eine Exportwirtschaft, die nach Zürich, Basel und Genf an 4. Stelle steht 
  • Eine unvergleichliche Landschaft mit Alpen, Voralpen, Hügeln, Tälern, Flüssen und Seen, die uns eine grossartige Lebens- und Freizeitqualität bietet. Das Weltkulturerbe Stadt Bern und das Weltnaturerbe Jungfrau-Aletsch sowie in diesem Jahrtausend neu: die regionalen Naturpärke Diemtigtal, Gantrisch und Chasseral.
  • Hervorragende Leistungen im Sport: den Schwingerkönig Kilian Wenger, die Goldmedaillensammlerin Simone Niggli-Luder, die Oberländer Startgemeinschaft, soeben mit 8 Goldmedaillen zurück von den Schweizer Meisterschaft der SchwimmerInnen, viele Schneesportasse, und viele mehr!

Diese Aufzählung kann nicht vollständig sein. Aber sie will zeigen, dass wir viel Positives um uns herum haben. Das wollen wir auch selbstbewusst würdigen und verdanken. Und auch gemeinsam feiern!

Im amüsanten Buch „Ein Bernerschädel ist nicht fon Blastigg“ schrieben Kinder einer Dritten Klasse über „Bernergiele und Bernermodi“:„Die BernerInnen reden nur anders als die Zürcher, nämlich Bärndütsch. Sonst sind sie normal.“

Die Schweiz gibt uns viele Chancen  
Ich bin dankbar, Schweizerin zu sein. Die Schweiz gibt uns viele Chancen. Wir können von Kind auf vier Landessprachen gut erlernen und damit auch vier verschiedene Kulturen kennen und schätzen lernen. Unsere Schweiz gibt uns die Chance, gerade in den Tourismusorten von Kind auf Kontakte zu Menschen von allen anderen Kontinenten zu knüpfen. Heute speziell mit Afrika! Ich begrüsse auch die afrikanische Musikgruppe sowie alle AfrikanerInnen, die im Rahmen der Feierlichkeiten „Albert Schweitzer – 100 Jahre Lambaréné“ heute auf die Grimmialp gekommen sind! Wir können so Freundschaften für das Leben schliessen.

Ja, die Schweiz gibt uns grundsätzlich sehr gute Startchancen – mit gut ausgebauten Schulen und Berufsausbildungen. Sie spornt uns an mit Fachleuten von Weltrang in allen Gebieten wie Sport, Kultur, Forschung und Wirtschaft. 

Eine Bürgerin schreibt mir: „Ich bin nicht mehr einverstanden mit all diesen Dingen in der Politik – es geht immer auf Kosten der Kleinen! Den Grossen gibt man, von den Kleinen nimmt man. Die Manager sind Abzocker, dafür verdienen die Frauen fast 20 Prozent weniger.“ 

Und der Chefredaktor der Zeitschrift „Beobachter“ schrieb: „Die Höhenfeuer-Romantik verträgt sich schlecht mit Shareholder-Value (d.h. dem Streben nach höchsten Aktionärsgewinnen) und dem Egoismus der Starken“. 

Ich finde, beide haben Recht! 

Aber wir Parlamentsmitglieder im Bundeshaus – und Sie im Volk als Stimmberechtigte – wir können uns gegen solche Fehlentwicklungen wehren! Wir können abstimmen, drei bis vier Mal im Jahr, zum Beispiel im nächsten November JA sagen zur 1:12-Initiative, welche die Kluft zwischen Abzockerlöhnen und den kleinsten Löhnen schliessen will!

Geschätzte Anwesende, unsere Schweiz steht nicht ohne Kompass oder gar ohne Anker da:

Erst 1999 haben wir uns durch eine Volksabstimmung eine neue Bundesverfassung gegeben. Sie enthält die wichtigen Grundsätze für unsere direkte Demokratie. Und die Bundesverfassung enthält schon in ihrem Vorwort (Präambel) einen Grundsatz, der mir sehr am Herzen liegt: „Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwächsten“!
In unserer Bundesverfassung sind Werte wie Solidarität, Chancengleichheit und Gerechtigkeit ganz zentral! Wenden wir sie an! Unsere Bundesverfassung sieht keine Klassengesellschaft vor wie im Mittelalter. Und doch gibt es heute wieder wenige Superreiche und immer mehr Arme. Das müssen wir korrigieren! Zum Beispiel im November mit einem JA zur 1:12-Initiative. Sie verlangt, dass der höchste Lohn im Betrieb höchstens 12 Mal höher sein darf als der kleinste Lohn. Wenn der kleinste Lohn einem Mindestlohn von CHF 4000 entspricht, darf der höchste Lohn CHF 48‘000 betragen, und das ist ja dann immer noch sehr sehr viel Geld pro Monat für einen Menschen oder eine Familie! Wir haben es also mit unserem Stimmzettel in der Hand, im November mehr Gerechtigkeit bei den Einkommen in unserem Land herzustellen.

Die Schweiz braucht eine aktivere politische Kultur.
Ichappelliere an Sie alle, als aktive Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung der Zukunft der Schweiz mitzuwirken. In einer Demokratie ist jede und jeder aufgefordert, privat und öffentlich zu diskutieren. Vorschläge zu machen, zu kritisieren, zu reden, auch zu protestieren! Friedlich und gewaltlos, das versteht sich von selbst.Wir tragen damit bei zu einerpolitischen Kulturdie nötig ist, um die Meinungsunterschiede auszutragen und soziale und gerechte Lösungen zu finden. 

Wenn hingegen eine Mehrheit nicht mehr mitdenkt und mitmacht, dann wird die Demokratie zur Farce. Wenn bei den Grossratswahlen im Kanton Bern im März 2010 nur gerade jede dritte wahlberechtigte Person mitmachte, dann gibt das zu denken. Auch das können wir bei den nächsten Grossratswahlen im März 2014 verbessern! Dann werden nämlich das Kantonsparlament und der Regierungsrat für die kommenden vier Jahre neu gewählt. 

Ich wünsche uns allen die Kreativität und die Kraft, die nötig sind, um unsere Gesellschaft und unsere Umwelt so zu verändern, dass auch die nächsten Generationen ein möglichst unbeschwertes, menschenwürdiges Leben führen können. Jetztfreue ich mich mit Ihnen auf das Höhenfeuer! Mögees uns allen Kraft geben, die Stärken des Kantons Bern und der Schweiz weiterzuentwickeln und für mehr Solidarität und Gerechtigkeit zu sorgen – in der Schweiz und auf der Welt! Denn wie Albert Schweitzer schrieb:Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, geht nicht verloren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit ganz herzlich und wünsche Ihnen allen eine grossartige Feier!

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