Drei Räte jener Partei, die das Asylgesetz per Notrecht ausser Kraft setzen will, begaben sich unlängst in den italienisch-schweizerischen Grenzbereich, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Einreise in die Schweiz für Leute ohne Papiere funktioniere.
«Ganz spontan» sei die Idee entstanden, sagte Adrian Amstutz, mit Nadja Pieren und Albert Rösti einer aus dem SVP-Bund der drei «Bildungsreisenden». So «spontan» war dieser Ausflug, dass vom «Blick» nur gerade eine Reporterin und ein Fotograf aufspringen und am 25. Juli 2015 über den Trip der drei Eidgenossen berichten konnten.
Amstutz setzte dann auf seinen Stolz über diese «spontane» Idee noch einen oben drauf: Selber organisiert hätten nämlich die drei ihre eintägige Reise. Wow! Hut ab: Drei Parlamentarier haben es geschafft, eine Fahrt nach Mailand ganz allein zu organisieren und offenbar fehlerfrei die Zugverbindungen herauszufinden. Und bezahlt hätten sie das auch noch selber, fügte Amstutz an. Wie grosszügig – eine Reise aus dem eigenen Sack mit dem Generalabonnement erster Klasse zu finanzieren, das allen Nationalrätinnen und Nationalräten kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Doch, doch, da darf man nicht meckern…
…zumal hernach die Erkenntnisse dieser wissenschaftlichen Spontan-Arbeits-Kommissions-Ausflugs-Gruppe am Ende des Tages extrem ergiebig waren: Seine Meinung zur Flüchtlingspolitik habe sich nach dieser Reise ganz und gar nicht geändert. Was sie gesehen hätten, seien keine Kriegsopfer aus Syrien, sondern junge Wirtschaftsflüchtlinge, hielt Amstutz fest. Wie man das Menschen ansehen soll, zumal er und seine Reisegefährten ins Empfangs- und Verfahrenszentrum am Bahnhof Chiasso nicht rein gelassen wurden, weil ihnen bei der selbst organisierten Expedition die Genehmigung aus Bern gefehlt hat, liess Amstutz offen. Immerhin sei ihm aufgefallen, dass die Bahnsteige gepflegt waren.
Aha.
Da also dem Herrn Amstutz und seiner Gefolgschaft die Fahrt über Mailand nach Chiasso zu keinen neuen Einsichten verholfen hat, dürfen wir auch nicht verblüfft sein, dass die SVP die Vorlage weiterhin boykottiert, die eine Neustrukturierung des Asylbereichs und die Einführung des beschleunigten Verfahrens in der ganzen Schweiz ermöglichen soll.
Womit es an der Zeit ist, in diesen Zeilen nun jene Ironie wegzulassen, ohne die mitunter gewisse Dinge nicht mehr zu ertragen wären, und bei der Asyl-Thematik in aller Sachlichkeit, aber auch in aller Deutlichkeit, zu meinem politischen Credo zu kommen.
Dabei werde ich trotz regelmässigem Erschaudern über die Tonalität und die politische Unredlichkeiten der SVP zum besagten Thema weiterhin die Aussagen, Vorstösse, Meinungen und die Propaganda aus diesem Haus gründlich und möglichst vorurteilsfrei studieren, um nie jene Punkte zu überlesen, in denen die SVP sehr wohl auch Recht hat. Denn selbstverständlich sind nicht alle Probleme, die diese Partei thematisiert, aus den Fingern gesogen. Der Haken ist und bleibt jedoch der: Lösungen bietet sie kaum einmal an, zumindest nicht Lösungen, die der humanistischen Verpflichtung Europas und der Schweiz nicht krass widersprechen würden.
Entscheidend ist meines Erachtens das, was der Journalist Fabian Renz im «Tages-Anzeiger/Bund» in seinem Leitartikel vom 25. Juli 2015 festgehalten hat:
«Dass das Asylwesen ‹ausser Rand und Band› sei (ein weiterer SVP-Vorwurf), ist grob übertrieben. Und fast schon eine Beleidigung für die Kantone und die Gemeinden, welche den Andrang zumeist vorbildlich bewältigen…Angenehm fällt auch die besonnene Reaktion der Schweizer Bevölkerung auf. Entwürdigende Szenen wie in Amden oder Aarburg sind Ausnahme geblieben…Die Schweiz hat gezeigt, dass sie die angespannte Asylsituation zu meistern in der Lage ist. Das wird ihr auch weiterhin gelingen…»
Dies wird der Schweiz in der Tat auch deshalb gelingen, weil niemand verlangt, dass sie das virulente Flüchtlingsproblem allein löst. Aber:
- Die Schweiz hat die moralische Pflicht, jene Menschen zu unterstützen, die aufgrund von Kriegen, Gewalt und existenzieller Armut fliehen müssen. Wie sagte der Dalai Lama, der Mensch also, der seit 56 Jahren selbst auf der Flucht ist? «Wir brauchen weltweit eine Revolution der Empathie und des Mitgefühls.» Und wie wird im «Magazin» vom 25. Juli 2015 Walter Stöckli vom Bundesverwaltungsgericht zitiert? «Grosszügigkeit ist eine Frage des politischen Willens. Wenn wir wirklich wollen, wäre es möglich, 100‘000 Syrer unter Schutz zu stellen in der Schweiz. Wir haben jährlich um 25‘000 Asylsuchende, weit unter den 40‘000 in der Kosovokrise.» Er verstehe, so wird Stöckli in einem Artikel des Journalisten Miklós Gimes zitiert, den Lärm nicht, der um die Asylzahlen gemacht werde. Gimes selbst erinnert in seinem Text daran, wie er mit seiner ganzen Familie1956 als Ungarn-Flüchtling im appenzellischen Trogen noch «mit Blumen und Kerzen» empfangen worden sei.
- Es ist nicht so, dass wir in der Schweiz zu viele Flüchtlinge haben, sondern zu wenig Stätten, um die Flüchtlinge zu beheimaten. «Warum sollen sie zum Beispiel nicht auch jene Bergtäler wieder beleben, die stets die Abwanderung der Bevölkerung beklagen?», schlägt Gimes im besagten Artikel vor.
- Es ist unbestritten, dass derzeit eine Notsituation herrscht. Jene Partei, die nach geschlossenen Grenzen und Notrecht schreit und deren Exponenten nach einem Eintages-Reisli nach Chiasso zu wissen glauben, dass ohnehin alles Wirtschaftsflüchtlinge seien, tut so, als wäre diese Notlage ausschliesslich ein Problem der Schweiz. Das ist es jedoch nicht. Wenn im Nahen Osten seit Jahren Krieg herrscht, der Millionen in die Flucht treibt, wenn Libyen zerfällt und in Eritrea ein absolutes Regime der Gewalt und der Ausbeutung der Menschen Tatsache ist, dann ist das eine globale Krise, die nicht damit bewältigt wird, indem die Schweiz den Schlagbaum senkt und niemanden mehr ins Land hinein lässt.
- Aus den Kreisen der rechten Populisten wird gebetsmühlenartig mit einer für die Flüchtlinge «zu attraktiven» Schweiz argumentiert. Das ist Mumpitz. Denn in diesem Jahr hat die Zahl der Asylgesuche im Raum der EU und der EFTA um nahezu 70 Prozent zugenommen – in der Schweiz dagegen um nur 16 Prozent. Einfach den gleichen Blödsinn Jahr und Tag zu wiederholen, immer wieder, und wenn es Richtung Wahlen geht, die Tonalität nochmals zu verschärfen, machen solche gezielten Desinformationen nicht wahrer.
Seit vor 34 Jahren die Schweiz ihr erstes Asylgesetz geschaffen hat, wurde es sieben Mal verschärft, stets mit dem Ziel, die Aufnahmen von Flüchtlingen nochmals zu erschweren. Vollends zugespitzt wurde diese unmenschliche Politik zwischen 2003 und 2007, als Christoph Blocher für vier Jahre und zwei Tage im Bundesrat war und er als Justizminister markante Teile der bestehenden Infrastruktur für Asylsuchende verschwinden liess. Inzwischen sind diese hässlichen Spuren einigermassen beseitigt und kann die Schweiz wieder viel besser auf eine Notsituation reagieren.
Sie könnte und kann es sogar so, wie es der Dalai Lama, der seit mehr als einem halben Jahrhundert im Exil leben muss, als einzigen gangbaren Weg vorschlägt: Mit Empathie und Mitgefühl. Beides schliesst nicht aus, dass auch die Linke in der Asylpolitik Augenmass behalten soll und behalten wird.
Für mich heisst das: die Augen offen halten, statt vor dem masslosen Elend in Syrien, Eritrea, Libyen und anderen Krisen-Herden die Augen zu verschliessen.