Für eine sozial wie wirtschaftlich bessere Schweiz

Matthias Aebischer, Nationalrat BE

Matthias Aebischer, Nationalrat BE
Einen Mindestlohn braucht die Schweiz nicht. Denn wir haben ja flächendeckend Gesamtarbeitsverträge, welche genau dieses Thema bereits regeln. Schön wär’s! Dem ist eben genau nicht so. 50 Prozent aller Arbeitnehmenden in der Schweiz stehen nicht unter dem Schutz eines Gesamtarbeitsvertrages.

Viele Arbeitnehmende verdienen gerade deshalb weniger als 4000 Franken im Monat, oder umgerechnet auf einen Stundenlohn weniger als 22 Franken pro Stunde.

Keinen GAV zum Beispiel haben die Verkäufer von Kleidern, die Verkäufer von Schuhen, Floristen und Kosmetiker. Und wenn Ihnen an dieser Stelle die maskuline Form etwas sonderbar vorkommt, dann zu recht. Denn es betrifft nicht die Männer, sondern eben vor allem die Frauen. Sie verdienen oft zu wenig in den Berufen ohne Gesamtarbeitsverträge. Die Kleiderverkäuferinnen, Schuhverkäuferinnen, Floristinnen und Kosmetikerinnen. Das ist die Realität. Arbeiten sollen die Frauen im Alter schon bald so lange wie die Männer, doch verdienen dürfen sie ruhig ein bisschen weniger. 

Das müssen wir ändern, können wir ändern – mit der Annahme der Mindestlohn-Initiative. 

Die Mindestlohn-Initiative ist also eine Initiative vor allem auch für die Frauen. Es ist höchste Zeit, dass Frauen, die nicht von einem GAV geschützt werden, durch einen Mindestlohn geschützt werden.

Es gibt Länder in Europa, die haben einen GAV-Abdeckungsgrad von mehr als 60 Prozent und zusätzlich auch einen Mindestlohn – dazu gehören etwa Belgien und die Niederlande. Dann gibt es Länder, die haben einen GAV-Abdeckungsgrad von über 60 Prozent und keinen Mindestlohn – wie etwa Dänemark und Norwegen. Und es gibt Länder die haben einen GAV-Abdeckungsgrad von unter 60 Prozent dafür aber einen Mindestlohn – dazu gehören Luxemburg und Grossbritannien zum Beispiel. Und die Schweiz? Sie passt zur Zeit in keine dieser drei Kategorien. Denn sie hat weder einen GAV-Abdeckungsgrad von über 60 Prozent, noch hat sie einen gesetzlich verankerten Mindestlohn. 

Das müssen wir ändern, können wir ändern – mit der Annahme der Mindestlohn-Initiative. 

Und die wirtschaftlichen Auswirkungen? Da werden ja zurzeit Horrorszenarien herumgeboten. Vor allem die angeblich massiv ansteigende Arbeitslosigkeit ist ein grosses Thema. Praktisch für uns Schweizerinnen und Schweizer ist: Andere Länder haben ja bereits einen Mindestlohn eingeführt und die Folgen wissenschaftlich eruiert und festgehalten. Wir haben also das Privileg, die Auswirkungen einer Mindestlohn-Einführung zu kennen. Und siehe da: Fast alle Studien zeigen, dass die Arbeitslosenquote bei einer Einführung oder Erhöhung des Mindestlohnes unverändert geblieben ist. 

Eine der interessantesten Studien liefert das „Institute for the Study of Labor“. Zwei Studenten der „University of Massachusetts“ und zwei Studenten der „University of California“ begnügten sich nämlich nicht, bloss US-Bundesstaaten mit verschiedenen Mindestlöhnen zu vergleichen. Denn oft führen unterschiedliche wirtschaftliche Strukturen der Staaten zu falschen Resultaten. So verglichen sie Beschäftigungsentwicklungen in Staaten, welche sich im selben Wirtschaftsraum befinden aber eine unterschiedliche Mindestlohnpolitik aufweisen.

Das Fazit dieser detaillierten Studie: Die Erhöhung der Mindestlöhne hat keine eindeutig erkennbare Auswirkung auf die Arbeitslosigkeit. Ja, sie zeigt sogar positive Auswirkungen auf. Die Forscher stellten nämlich fest, dass es in den Staaten mit einem höheren Mindestlohn weniger Jobwechsel gibt. Offenbar steigt die Arbeitsplatz-Zufriedenheit zwar nicht nur, aber auch wegen eines höheren Mindestlohnes. Dies wiederum dürfte zu einer besseren Produktivität führen. Das hingegen ist nur eine Vermutung und nicht Teil der Studie. Die Schweiz ist mit einem Mindestlohn von 4000 Franken also nicht nur eine sozial bessere Schweiz, sondern wohl auch eine wirtschaftlich bessere Schweiz. 

Es spricht also auch wirtschaftlich vieles für eine Annahme der Mindestlohn-Initiative.

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