Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen
«Soziale Gerechtigkeit statt Ausgrenzung». Mit diesem Aufruf feiern wir den diesjährigen 1. Mai hier in Sissach zusammen mit Millionen von Menschen auf der ganzen Welt und in der Schweiz. Der 1. Mai, früher vielfach totgesagt, die Älteren unter uns können sich entsinnen, ist heute wichtiger denn je. Auch in der reichen Schweiz werden immer mehr Menschen ausgegrenzt. Sie leben am Existenzminimum. Ältere Lohnabhängige werden aus der Arbeitswelt in die Sozialhilfe verdrängt und mit tieferen Renten werden sie damit gleich doppelt bestraft. Für viele junge Menschen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt schwieriger. Migrantinnen und Migranten werden ausgegrenzt. Die Schere zwischen reich und arm öffnet sich weiter. Immer mehr Menschen werden auch bei uns zu Globalisierungsverlierern. Diese Situation ist nicht nur sozial unhaltbar sondern auch politisch gefährlich. Sie gefährdet eine der fundamentalen Standortqualitäten der Schweiz, das Erfolgsmodell Schweiz.
Zwei zentrale Ereignisse verschärfen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Erstens: Vor einem Jahr wurde die Masseneinwanderungs-Initiative angenommen. Die Umsetzung stellt fast unlösbare Probleme und wird die zentrale Aufgabe des kommenden Jahres sein. Die Gewerkschaften und die Linke müssen, gerade zur Wahrung der sozialen Gerechtigkeit, klare Grenzen setzen:
- Die bilateralen Verträge müssen bestehen bleiben. Sie regeln unser Verhältnis zur EU, dem wichtigsten Handelspartner. Wer glaubt, der Alleingang stärke uns, wird die Schweiz wirtschaftlich in den Abgrund führen.
- Die flankierenden Massnahmen zum Schutz der Lohnabhängigen dürfen nicht aufgeweicht sondern müssen gestärkt werden. Dumping bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen muss rigoros bekämpft werden. Es braucht mehr Gesamtarbeitsverträge mit guten Mindestlöhnen. Es braucht aber auch flankierende Massnahmen zur Entlastung der Menschen von zu hohen Wohnkosten.
- Es darf unter keinen Umständen zu einer Wiedereinführung des Saisonnierstatuts oder vergleichbarer Aufenthaltsbewilligungen von kurzer Dauer kommen. Wir dürfen keinesfalls eine Unterklasse von Arbeitnehmenden tolerieren.
- Die Zuwanderung darf nicht mit Kontingenten gesteuert werden. Es gilt vielmehr das Potenzial der Menschen hier zu nutzen: Das Potenzial der älteren Lohnabhängigen, der Jungen und der Frauen muss endlich als Chance genutzt werden.
Die zweite dramatische Zäsur – wirtschaftlich und politisch – bescherte uns der Fehlentscheid von Thomas Jordan am 15. Januar 2015. Die Schweizerische Nationalbank ist unter dem Druck der Spekulation und der politischen Rechten zusammengebrochen. Ohne Not hat sie den Mindestkurs zum Euro aufgegeben. Sie stoppte damit die Erfolgsgeschichte, die am 6. September 2011 mit dem Mindestkurs von 1.20 zum Euro eingesetzt hatte, die Planungssicherheit und Schutz vor noch mehr Spekulation gebracht hatte. Die Freigabe des Wechselkurses war gesetzeswidrig. Sie erfolgte unter Missachtung der Gesamtinteressen des Landes.
Viele Prognose-Institute versuchen uns weiszumachen, die Unternehmen hätten den Frankenschock locker verkraftet. Die Folgen des Franken-Euro-Schocks werden wir in den nächsten Monaten spüren. Die Unternehmer versuchen zum einen die Folgen auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Einige versuchten bereits, im grenznahen Raum illegale Eurolöhne einzuführen. Andere senken die Löhne, wieder andere erhöhen die Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Investitionen werden zurückgehalten. Bis es zu einer verstärkten Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland kommt, ist nur eine Frage der Zeit.
Unsere Forderung ist klar: Dieser Fehlentscheid muss von der Politik korrigiert werden. Schweiz braucht eine Währung, die nutzt und nicht schadet. Wir kämpfen wieder für einen stabilen Frankenkurs zum Euro. Ohne die Freigabe des Wechselkurses hätte die SNB keinen Verlust von 30 Mrd. Fr. erlitten. Mit dem Mindestkurs hatte eben auch die SNB Geld verdient. Dänemark macht es vor, dass die Verteidigung eines festen Wechselkurses zum Euro möglich ist.
Anders die politische Rechte. Unter dem Vorwand des starken Frankens hat sie die Reihen geschlossen. Neue Deregulierungspakete geschnürt. Das Rad der Zeit soll zurückgedreht werden. Beim Atomausstieg, in der Energiepolitik, bei den Sozialversicherungen, mit den altbekannten ideologische Rezepten der Deregulierung, der Sparprogramme und der Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche. Was die Stärken der Schweiz ausmachte – Sozialer Ausgleich, ein guter Service public, Solidarität bei den Sozialversicherungen –, wird in Fragegestellt.
Nach dem Milliardenbschiss mit der Unternehmenssteuerreform II propagieren die Unternehmensverbände einseitige Steuersenkungen für Unternehmen mit der Unternehmenssteuerreform III. Die SP wird keine Steuergesetzrevision tolerieren, die zu Einnahmenausfällen führt. Weder beim Bund noch um Kanton Baselland. Ein Instrument dazu ist die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer.
Selbst die Durchsetzung des Verfassungsanspruchs auf Gleichstellung von Frau und Mann wird in Frage gestellt, wie auch die Verwirklichung des gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit. Noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt in der Schweizer Privatwirtschaft 1800 Franken pro Monat weniger als Männer. Rund ein Drittel davon ist die Folge unmittelbarer Diskriminierung. 21‘600 Franken im Jahr macht der Lohn-Diebstahl zu Lasten der Frauen im Durchschnitt aus. 2010 entgingen den Frauen aufgrund der Lohndiskriminierung 7,7 Milliarden Franken. Und im Alter haben die betroffenen Frauen diese Diskriminierung erneut zu bezahlen – mit tieferen Renten.
Der freiwillige Lohngleichheitsdialog ist gescheitert. Jetzt braucht es zwingende politische Massnahmen wie Lohninspektorinnen und Sanktionen gegen fehlbare Arbeitgeber. Lohngleichheit ist eine zentrale Voraussetzung für eine gleichmässigere Verteilung der Arbeit auf Mann und Frau. Nötig sind auch Arbeitsbedingungen, die es Frauen und Männern ermöglichen, Erwerbsarbeit, Betreuungsaufgaben und andere gesellschaftliche Aufgaben zu vereinbaren. Es braucht flächendeckende, für alle bezahlbare Kinderbetreuung. Jedes Kind hat Anspruch auf einen Platz. Gerade in Baselland ist der Handlungsbedarf riesig.
Soziale Gerechtigkeit ist auch bei der Vermögensverteilung das Gebot der Stunde. Das gilt auch im Todesfall. Die Schweiz ist eines der Länder mit der ungerechtesten Vermögensverteilung. 2 Prozent der reichsten Steuerzahlenden besitzen gleich viel Vermögen wie die restlichen 98 Prozent. Via Vererbung, die meist steuerfrei erfolgt, nimmt die Vermögenskonzentration immer mehr zu. Deshalb kämpfen der SGB, zusammen mit SP, EVP und Grünen für die Initiative «Millionenerbschaften besteuern für unsere AHV».
- Die Initiative verwirklicht ein urliberales Postulat und sichert etwas gleichere Chancen: Wer ohne eigenes Zutun Millionen- oder gar Milliardenvermögen erbt, soll genauso Steuern bezahlen, wie dies Normalverdienende auf den Löhnen und AHV-Renten tun.
- Sie ist sozial gerecht ausgestaltet, denn sie sieht einen hohen Freibetrag auf dem Nachlass von 2 Millionen Franken vor.
- Sie verschont Arbeitsplätze und die KMU. Für Betriebe, die weitergeführt werden, gibt es gesetzliche Sonderregeln. Wer das Gegenteil behauptet, lügt.
- Sie hilft der AHV. Mit der nationalen Erbschaftssteuer fliessen rund drei Milliarden Franken in die öffentlichen Kassen, davon gehen zwei Milliarden an die AHV, 1 Milliarde an die Kantone.
Von einer guten AHV profitieren alle. Das entlastet gerade auch die KMU-Betriebe. Das Problem heute ist, die fehlende Existenzsicherung vieler Menschen im Alter. Die AHVplus-Initiative steht vor der parlamentarischen Behandlung. Die Initiative fordert realistische und nötige Verbesserungen. Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist das Renteneinkommen knapp, zu knapp – auch nach einem ganzen Erwerbsleben. Wer vor der Pensionierung einen Lohn von 5000 Franken hatte, kommt heute trotz Pensionskassenrente und AHV auf keine 3000 Franken. Deshalb braucht es eine Erhöhung der AHV-Renten für ein würdiges Leben im Alter für alle. AHVplus bringt allen 10 Prozent mehr Rente.
2015 werden die Weichen für die nächsten Jahre gestellt. Gerade auch für mehr soziale Gerechtigkeit. Das Erfolgsmodell Schweiz mit einem sozialen Ausgleich, mit einer gut ausgebildeten Arbeiterschaft, mit einem sehr leistungsfähigen öffentlichen Sektor und einem hohen Beschäftigungsgrad darf nicht in Frage gestellt werden. Dafür kämpfen wir gemeinsam: SP, Grüne, Gewerkschaften, Umweltbewegungen. Die Baselbieter Wahlen im Frühjahr zeigten, wie gefährlich Spaltungen sind: Der bürgerliche Zusammenschluss auf der einen Seite und eine wenig geeinte Linke auf der andern Seite hat uns einen Regierungssitz gekostet. Dies wird nun zur Bedrohung für das soziale Baselbiet, für eine soziale Schweiz.
Ganz besonders gefordert ist jetzt die SP, die nicht mehr in der Regierung vertreten ist. Die Oppositionsbank ist aber nicht nur hart, sie bietet auch Chancen. Wir müssen zeigen, wie ein soziales und zukunftsfähiges Baselbiet aussieht. Wir müssen zeigen, dass wir uns den Service public nicht wegsparen lassen. Die öffentlichen Dienstleistungen sichern Arbeitsplätze und Wohlstand, sie garantieren Rechtssicherheit und ein Leben in Würde.
Soziale Gerechtigkeit ist das Gebot der Stunde. Soziale Gerechtigkeit meint gute Löhne und Renten, gute Arbeitsbedingungen, sichere Arbeitsplätze und Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen. All das ist in der Schweiz wirtschaftlich möglich. Es ist eine Frage des Willens. Es ist eine Frage der gerechten Verteilung. Es ist auch eine Frage des politischen Kräfteverhältnisses. Und das wird mit den Wahlen im Herbst 2015 neu bestimmt. Wir müssen vereint kämpfen, gemeinsam mobilisieren.
Der vereinte Kampf und Hartnäckigkeit bringt Erfolge. Das beweist gerade die Geschichte der SP. Heute ist das Bankgeheimnis in der Form des Steuerhinterziehergeheimnisses bereits Schnee von gestern. Der automatische Informationsaustausch der Steuerbehörden steht vor der Einführung. Wer hätte das gedacht! Der Finanzplatz wehrt sich nicht mehr gegen die Forderungen. Das zeigt, dass man mit einer starken Linken durchaus auch etwas erreichen kann.
Soziale Gerechtigkeit braucht es auch von der reichen Schweiz mit den Völkern der dritten Welt, mit den Menschen, die von Krieg und Ausbeutung bedroht und die auf der Flucht sind. Vergessen wir nicht. Der Reichtum der Rohstoffkonzerne in der Schweiz ist die Armut vieler Völker in Afrika. Die Flüchtlingsströme und Kriege sind vielfach die Folge einer kolonialistischen Politik der Industriestaaten. Die Schweiz muss sich in allen Politikbereichen solidarisch zeigen. Die Schweiz darf nicht länger Hort von Steuerflüchtlingen aus aller Welt sein. Wir treten dafür ein, dass die Schweizer Konzerne auf die Wahrung der Menschenrechte verpflichtet werden.
Vereint kämpfen wir für eine gerechte, solidarische und offene Schweiz.
Gemeinsam sind wir stark. Nur mit einer solidarischen Politik bringen wir die Schweiz voran.