Rede zum Frauen*streik von SP Grossrätin Sandra Locher Benguerel. Chur, 14. Juni 2019.
Geschätzte Frauen und Männer
Am 14. Juni 1981 stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung dem Artikel „Gleiche Rechte für Frau und Mann“ in der Bundesverfassung zu. Weil das wenig Wirkung zeigte, folgten am 14. Juni 1991 über eine halbe Million Frauen dem Ruf: Wenn Frau will, steht alles still. Heute, am 14. Juni 2019 stehen wir wieder hier: Weshalb eigentlich?
Kommen Sie mit mir auf eine Bühne mit 3 Szenen:
Erste Szene
Ort: Pontresina
Anlass: Session des Grossen Rates
Mitwirkende: 120 Mitglieder des Grossen Rates/ Bündner Regierung/
Meine Rolle: Politikerin
Der Grosse Rat tagte diese Woche bekanntlich in der Landsession. Ich sitze im Ratssaal mit 25 weiteren Grossrätinnen und 94 Grossräten. Mit einem Anteil von 21.7 % gehört Graubünden seit Jahren zum Schlusslicht bezüglich Frauenvertretung im Parlament. Die Bemerkung sei erlaubt: In Ruanda hätte unser Parlament 73 Frauen und 46 Männer. Zurück nach Pontresina, wir behandelten in dieser Woche Themen welche in direktem Zusammenhang mit den Forderungen des Frauenstreiks stehen: Wir debattierten über die Möglichkeit von Teilzeitstelle bei den Oberen Gerichten, über Massnahmen gegen Gewalt an Frauen und über Lohntransparenz als Voraussetzung für Lohngleichheit. Immer wieder verhandelt der Grosse Rat über Gleichstellung. Wir als Grossrätinnen können direkt Einfluss nehmen und entscheiden. Dies habe ich während meines Jahrzehnts als jüngste Grossrätin regelmässig erfahren und es motiviert mich bis heute.
Heute morgen um 8.15 Uhr reichte ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen der Fraktion einen Auftrag ein, welcher einen Aktionsplan Gleichstellung für Frau und Mann fordert. Welcher Tag wäre geeigneter um einen solchen Auftrag einzureichen? Denn klar ist, dass für die Umsetzung der Gleichstellung auch die Politik in der direkten Verantwortung steht. Wir sind in Graubünden auf dem Weg, wenn auch noch lange nicht am Ziel- (deshalb sind wir heute auch hier). Ich erachte es als dringend, dass unser Kanton die Gleichstellung mutig vorantreibt, damit wir in der Beseitigung der strukturellen und historisch bedingten Benachteiligung von Frauen einen grossen Schritt weiter kommen.
Bevor der Vorhang dieser Szene fällt: Wir brauchen in Graubünden noch viel mehr Frauen, welche auf allen Ebenen mit am Tisch sitzen und mitentscheiden. Wir brauchen keine Pflästerlipolitik, sondern einen konkreten Aktionsplan zur Gleichstellung für Frau und Mann.
Zweite Szene
Ort: ein Bündner Schulzimmer
Anlass: Unterricht
Mitwirkende: Lehrerinnen und Lehrer
Meine Rolle: Präsidentin Lehrerinnen und Lehrer Graubünden
Dies vorweg: Heute fand der Unterricht an allen Bündner Schulen und Kindergärten statt- doch da und dort wurden kleine Zeichen gesetzt, beispielsweise in Form eines Protestmarsches in der Pause. Das ist nicht Zufall. Denn in Bezug auf Lohngleichheit gibt es im Lehrberuf zwei erwiesene Befunde:
- Es gibt kaum eine mit dem Lehrberuf vergleichbare Tätigkeit mit Bachelorabschluss, die so stark unterbezahlt ist. Je mehr Frauen als Lehrpersonen arbeiten, umso stärker geraten die Löhne unter Druck. Fast drei Viertel aller Lehrpersonen an der Bündner Volksschule sind Frauen.
- Zwar verdienen Lehrerinnen und Lehrer auf derselben Unterrichtsstufe gleich viel. Die strukturelle Lohnungleichheit ist jedoch hoch. Im Kindergarten, wo sogar 99 Prozent Frauen arbeiten, ist es besonders krass. Es darf nicht sein, dass die Löhne und Arbeitsbedingungen der Lehrerinnen der Schuhgrösse der Kinder angepasst sind.
Bevor der Vorhang dieser Szene fällt: unterstützt der Verband Lehrpersonen Graubünden ausdrücklich die Forderung nach Lohngleichheit. Gerade hier braucht es dringend Massnahmen.
Dritte Szene
Ort: jetzt und hier
Anlass: Aktionsstunde
Mitwirkende: wir alle
Meine Rolle: eine unter vielen
Weshalb also stehen wir heute hier? Weil wir Respekt wollen. Weil wir mehr Lohn wollen. Und weil wir mehr Zeit wollen. Und vor allem: Weil wir wollen, dass bestehende Gesetze wirken und nicht tote Buchstaben bleiben. Heute brauchen wir Taten! Wir alle tragen diese Forderungen mit und wollen heute gemeinsam ein Zeichen setzen wie vor 28 Jahren. Doch wir wollen mehr, als ein Zeichen setzen. Wir wollen etwas bewirken und den Boden fruchtbar machen, damit darauf kräftige Pflanzen wachsen können und die Forderungen, welche am Baum hängen, umgesetzt werden. Genau so, wie vor 28 Jahren nach dem Streik das Gleichstellungsgesetz geschaffen wurde.
Bevor der Vorhang fällt: Es ist Zeit zu handeln! Der heutige Tag ist erst der Anfang. Gemeinsam verhelfen wir dem dazu. Danke, dass ihr heute alle da seid und mithelft, die Forderungen weiter zu tragen!