Viele reiben sich die Augen, sind erschrocken und schockiert: Wie ist so etwas in unserem Land möglich? Aber seien wir ehrlich! Dies hat sich schon länger angebahnt. Obwohl auch die SP seit Jahren versucht hat, bestehende Gesetzeslücken zu schliessen, schauen viele lieber weg und bevorzugen es zu schweigen. Doch spätestens nach der vielfachen Verwendung von Nazi-Symbolen rund um die Proteste gegen die Corona-Massnahmen und einem gleichzeitigen Aufschwung nicht zuletzt auch antisemitischer Verschwörungstheorien sollte allen klar sein, dass wir handeln müssen. Denn wenn wir noch länger tatenlos verharren, wird das Pendel umso heftiger zurückschlagen.
Verwendung von Nazi-Symbolen ist in der Schweiz nicht in jedem Fall verboten
Kaum zu glauben, aber leider wahr: Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern ist die Verwendung von Hakenkreuz und Hitlergruss in der Schweiz nicht per se verboten. Es macht sich nur strafbar, wer mit solchen Symbolen aktiv für seine Ideologie Propaganda macht. Konkret heisst das, dass sich Neonazis unbehelligt an Bahnhöfen mit dem Hitlergruss begrüssen, auf der Strasse das Hakenkreuz zeigen oder an Kundgebungen Naziflaggen schwenken können. Solange sie niemanden aktiv anwerben oder Flyer verteilen, ist dies gemäss aktueller Gesetzgebung erlaubt. Das hat das Bundesgericht 2013 in einem wegweisenden Urteil bestätigt. Was für eine haarsträubende Spitzfindigkeit!
Für uns ist klar: Wenn ein Nazi-Symbol für alle sichtbar ist, wird damit automatisch auch für eine rassistische und gewaltverherrlichende Ideologie Werbung gemacht. Versetzt euch in die Lage von Nachkommen von Holocaustopfern, in die Lage von queeren Personen, Menschen mit Behinderungen, Sinti und Roma! Die Neonazis, die sich mit Hitlergruss begrüssen, schreien damit wortlos in die Welt hinaus, dass gewisse Menschen keine Daseinsberechtigung haben. Und wenn sie ihnen ein paar hundert Meter weiter und bei Dunkelheit begegnen, scheuen sie oft auch nicht vor Gewalt zurück. Wir dürfen nicht länger tatenlos zuschauen. Denn wer schweigt, toleriert solches Verhalten und macht sich mitschuldig. Nationalsozialismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!
Druck von Zivilbevölkerung und Politik muss steigen
Um hier aktiv zu werden, haben wir beide in der Wintersession 2021 zwei parlamentarische Initiativen (siehe hier und hier) eingereicht, um die öffentliche Verwendung von Nazi-Symbolen zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Unsere beiden Vorstösse müssen bis im Winter 2022 in der Rechtskommission des Nationalrats behandelt werden. Wir sind überzeugt, dass das Anliegen im Parlament eine Mehrheit finden wird. Denn aus allen Fraktionen haben uns Mitunterzeichnende unterstützt. Auch die Stiftung gegen Rassimus und Antisemitismus GRA sowie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG haben sich deutlich für ein Verbot von Nazi-Symbolen ausgesprochen. Trotzdem verschliesst der Bundesrat die Augen und versteckt sich hinter der aktuellen Gesetzeslage. Das tat er bereits bei einer früheren Motion von Angelo Barrile aus dem 2019, die im letzten Jahr abgeschrieben werden musste, weil sie während zwei Jahren nicht im Nationalrat behandelt wurde. Kürzlich hat der Bundesrat eine ähnliche Motion einer Mitte-Nationalrätin abgelehnt, was zeigt, dass die Landesregierung den Ernst der Lage nicht erkennt.
Zivilcourage braucht das Land
Selbstverständlich reicht es nicht, die Verwendung von rassistischen Symbolen zu verbieten, es braucht zusätzlich auch Aufklärungsarbeit. Aber ein griffiges Gesetz zum Verbot von Nazi-Symbolen wäre ein wichtiger erster Schritt und ein klares Zeichen, dass wir Propaganda für Hass und Nazi-Ideologien in unserem Land in keiner Form und Ausprägung tolerieren. Gleichzeitig muss auch die Zivilgesellschaft handeln. Wir müssen zusammenhalten, offen über die Probleme des Rechtsextremismus sprechen und faschistische Ideologien verurteilen. Dafür braucht es in allen Altersklassen und gesellschaftlichen Schichten Information und Sensibilisierung. Je mehr Menschen sich wehren, einschreiten und gegenüber Rassist:innen Klartext sprechen, desto effektiver können wir faschistischen Bedrohungen entgegentreten.
Autor:innen: Gabriela Suter (Nationalrätin AG) und Angelo Barrile (Nationalrat ZH)