Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz zu den Ländern mit der grössten Vermögenskonzentration. Gemäss der Statistik der eidgenössischen Steuerverwaltung besitzt das reichste Prozent der Steuerpflichtigen 40 Prozent des gesamten privaten Vermögens. Andere Berechnungen kommen auf noch höhere Werte. So besass das reichste Prozent gemäss einer Untersuchung der Credit Suisse 2010 rund 59 Prozent des Vermögens, womit die Verteilung in der Schweiz weit ungleicher ist als in den USA.
Die Rolle des Erbens
Die ebenfalls hohe Ungleichheit in der Verteilung der Erbschaften – rund die Hälfte der Bevölkerung erbt überhaupt nichts oder nur sehr wenig – verstärkt die Vermögenskonzentration. Personen, denen ein grosses Erbe zukommt, müssen bei der Vermögensbildung nicht bei null anfangen, erzielen durch den Vermögenszugang ein höheres Einkommen und können mehr sparen und später dann wiederum mehr vererben. Es findet somit ein kumulativer Prozess der Vermögenskonzentration durch grosse Erbschaften statt. Dadurch entsteht eine wachsende Schicht von Personen, die allein vom Erbe leben können. Welches Ausmass die Vererbung grosser Vermögen heute erreicht hat, illustriert ein Beispiel aus dem Kanton Zürich. Vor kurzem hinterliess ein Unternehmer seinen beiden Nachkommen ein Vermögen von 7 Milliarden Franken. Mit dem Erbe könnte jeder der beiden Nachkommen sämtliche Wohnungen und Einfamilienhäuser des Kantons Appenzell Innerrhoden erwerben, also Ländereinen von feudalem Ausmass.
Konsequenzen für die Gesellschaft
Zahlreiche Studien, in denen Vergleiche zwischen den Ländern vorgenommen wurden, belegen die negative Auswirkung von hoher Ungleichheit auf die Gesundheit. Jene Länder mit einer sehr hohen Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen wie die USA oder Portugal weisen eine mehr als doppelt so hohe Sterblichkeit auf als Länder mit einer gleichmässigeren Verteilung wie z.B. Japan oder Schweden. Ungleichheit beeinflusst aber auch das Verhalten der Menschen. Zum Beispiel auf die Gewaltbereitschaft: Vor allem Jugendliche können es schlecht ertragen, wenn sie zuunterst in einer stark hierarchisch geprägten Gesellschaft stehen. Dies nagt an ihrem Selbstvertrauen, verletzt ihren Stolz und gibt ihnen oft ein Gefühl der Erniedrigung und Schande, das sie mit Gewalttaten abzuwehren versuchen. Diesen Zusammenhang belegen ebenfalls zahlreiche Studien. In den USA gibt es rund siebenmal mehr Mordfälle als in Japan und Norwegen mit vergleichbar tieferer Ungleichheit. In den amerikanischen Bundesstaaten mit grösserer Ungleichheit geschehen rund viermal mehr Mordfälle als in jenen mit gleichmässigerer Verteilung.
Immense Kosten der Ungleichheit
Ungleichheit kommt eine Gesellschaft teuer zu stehen. In Japan, wo die Einkommen relativ gleichmässig verteilt sind, erleiden fünfmal weniger Menschen psychische Krankheiten als in den USA, in denen eine hohe Ungleichheit herrscht. Das Gleiche gilt für Fettleibigkeit und die damit verbundenen Krankheiten. Enorme Kosten fallen in Ländern mit grosser Ungleichheit auch wegen der höheren Kriminalität an. Die Ausgaben für Polizei, Justiz und Strafvollzug sind in Ländern mit hoher Ungleichheit um ein Mehrfaches höher als in Ländern mit ausgeglichener Einkommensverteilung. In den USA sitzen fast 6 Promille der Bevölkerung im Gefängnis, in den nordeuropäischen Ländern und in der Schweiz mit weniger Einkommensungleichheit nur rund 1 Promille. In Japan, das die tiefste Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen aufweist, liegt die Rate sogar unter einem halben Promille. Das Strafvollzugssystem (einschließlich der Bewährungshilfe) kostet die amerikanischen Steuerzahler jährlich 68 Milliarden Dollar.
Für die gesamte Schweiz gibt es keine diesbezüglichen Zahlen. Im Kanton Zürich betragen die Kosten für den Strafvollzug rund 200 Millionen Franken, so dass sich die Kosten für die gesamte Schweiz schätzungsweise auf rund eine Milliarde Franken belaufen dürften. Wenn man noch die bei der Polizei und in der Justiz infolge der Kriminalität anfallenden Kosten dazu rechnet, dann handelt es sich gesamtschweizerisch um mehrere Milliarden, die zum Teil auf das Konto der Ungleichheit gehen. Noch viel mehr ins Gewicht fallen dürften die durch die Ungleichheit verursachten Kosten im Gesundheitssektor. In der Schweiz betragen die Gesundheitskosten 61 Milliarden Franken (2009). Davon dürfte ein zweistelliger Milliardenbetrag auf die Ungleichheit zurückzuführen sein.