Kampf dem Raub der Sabinerinnen

Ein junger Mann arbeitet als Zivi in einer Flüchtlingsklasse. Er ist beeindruckt vom Lerneifer der jungen Männer. Seine Kollegin hat in derselben Woche Anzeige erstattet wegen sexueller Attacken im Ausgang – vermutete Täter: jugendliche Asylbewerber. Ein Lebensraum – zwei Realitäten. Beide stimmen, und beide existieren nebeneinander. Das sollte uns dazu anhalten, nicht nach Erklärungen, sondern nach Ursachen der Taten in Köln, Hamburg und Zürich zu suchen.

Rassistisch ist nicht, wer transparent macht, wie viele mutmassliche Täter aus welchen Regionen stammen. Rassistisch ist auch nicht, wer sagt, dass traditionelle Interpretationen von Religion mit unserer freien Gesellschaft nicht vereinbar sind – schliesslich leben wir auch nicht so, wie es die Kurie in Rom vorschreibt. Rassistisch ist erst, wer Eigenschaften pauschal gewissen Ethnien oder Gruppen zuschreibt und damit deren Individualität verneint. Würden wir in der aktuellen Diskussion hie und da das Wort «Muslim» durch «Jude» ersetzen, dann sähen wir besser, wie gefährlich die aktuelle Debatte ist.

Sexuelle Gewalt hatte bis Silvester weniger mit dem Asylantrag als vielmehr mit dem Alkoholkonsum zu tun. Am Oktoberfest in München vor drei Monaten wurde mindestens eine Frau vergewaltigt. Es kam zu zahlreichen sexuellen Attacken, und dies trotz 2000 Polizeieinsätzen. Und wenn in wenigen Wochen der Kölner Karneval die Stadt in den Wahnsinn treiben wird, werden sich Hunderte von Frauen begrabschen und sexuell bedrängen lassen müssen. Die Täter werden kaum alles junge Asylsuchende sein.

Die mobartigen Übergriffe in verschiedenen europäischen Städten scheinen hingegen dem Muster der Übergriffe auf dem Tahrirplatz in Kairo zu ähneln. Ich erinnere mich an ähnliche Szenen vor ein paar Jahren im syrischen Aleppo am Ende des Ramadans. In der Luft schien das Testosteron der jungen Männern zu flimmern. In der Situation von Flüchtlingen kommen zur weitverbreiteten Frauenverachtung Alkohol und Überforderung im Umgang mit Freiheit hinzu.

Frauenverachtung ist ein jahrhundertelang geduldetes Phänomen patriarchaler Wertesysteme. Noch in den 90er-Jahren wehrte sich die in der Zwischenzeit grösste Schweizer Partei dagegen, dass Vergewaltigung in der Ehe als Offizialdelikt gilt. Manchmal müsse man etwas nachhelfen, wenn die Frau nein sage, wurde als Begründung zu Protokoll gegeben. Heute ist der Aufschrei gegen sexuelle Gewalt parteiübergreifend. Das ist eine Errungenschaft, die wir nicht mehr aufs Spiel setzen dürfen.

Die Ereignisse am Oktoberfest und in der Silvesternacht haben eines gemeinsam: Sie zeigen, dass die sexuelle Integrität erst im nüchternen Zustand respektiert wird. Besoffen können Männer aller Altersklassen und unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zu einer Gefahr für Frauen und Mädchen werden.

Die Ereignisse weisen aber auch einen grossen Unterschied auf: Die Silvesterattacken machen klar, dass wir die Wertediskussion in den Griff bekommen müssen. Dabei sind wir alle gefordert: Frauen und Männer, Linke und Rechte, Alteingesessene und Neuhergezogene. Die Gleichheit aller Menschen ist nicht verhandelbar. Der Körper gehört der Frau allein. Ein Nein ist ein Nein. Integration heisst darum zwingend, sich in diesen Wertekanon einzufügen.

Wenn uns das gelingen soll, müssen wir auch selber in diesen Werten sicherer werden. Es braucht weniger politische Korrektheit und mehr tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis. Hand aufs Herz: Welcher Vater hat nach der Berichterstattung zu Köln nicht die Angst gespürt, dass diese fremden, dunklen Männer seine Tochter rauben könnten? Diese Denkweise ist seit den Römern bekannt. Weil es in Rom kaum junge Frauen gab, raubten die Römer den Nachbarstädten die unverheirateten Mädchen, bekannt als Raub der Sabinerinnen. Mit dem Fantasiebild dieses drohenden Raubs sind auch wir am Ursprung des Problems: Frauen als Besitz und Kriegsbeute. Frauen als Objekt.

Sexuelle Gewalt ist, egal ob im nüchternen und betrunkenen Zustand ausgeübt, immer auch Ausdruck von Werthaltung und Fantasiebildern. Frauenverachtung ist dabei unbestritten Teil einer patriarchalen Gesellschaftsordnung. Diese ist bei uns auch erst seit kurzem überwunden. Wenn überhaupt.

Der Text erschien am 14.1. im Landbote und am 15.1. im P.S.

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