Kaufkraft der Haushalte stärken

«Erodiert die Mittelschicht?» - zu diesem meinem Postulat haben die Steuerverwaltung, das Bundesamt für Statistik und das seco einen spannenden Bericht zur Frage verfasst, wie sich die reale Kaufkraft der Menschen mit kleinen, mittleren und hohen Einkommen in der Schweiz in den letzten Jahren entwickelte. Der Bericht verdient eine vertiefte Analyse vor allem auch des Grundlagenmaterials. Politisch relevant ist insbesondere, mit welchen Massnahmen sich die Kaufkraft der Mittelschichten wesentlich steigern lässt. Dazu nachfolgend erste Überlegungen.

Vorweg zum Resultat: Die Studie zeigt einmal mehr auf, wie diffus der im politischen Diskurs inflationär verwendete Begriff des Mittelstands oder auch der Mittelschicht ist. Vorliegend werden zur Hauptsache als mittlere Einkommensgruppe jene Haushalte erfasst, die über ein Einkommen von 70 bis 150 Prozent des Medieneinkommens verfügen. Die Spannweite ist gross. Sie geht bei Singlehaushalten von 3‘868 bis 8‘289 Franken oder bei einem Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren von 8‘123 bis 17‘406 Franken.  

Die Einkommenssituation der Mittelschichten präsentiert sich im Bericht – anders als bei Avenirsuisse – insgesamt als relativ stabil. Trotzdem hat sich die Drucksituation der Haushalte mit mittleren Einkommen verschärft: Der Berufsalltag stellt höhere Anforderungen, die Reallohnentwicklung der Beschäftigten mit mittleren Einkommen liegt im Vergleich zur gesamtschweizerischen Entwicklung tiefer, die Belastung mit Abgaben ist gestiegen, wie der Bericht festhält. Yves Petignat liegt in «Le Temps» vom 16. Mai 2015 wohl richtig, wenn er feststellt: «Auch wenn die realen Einkommen der Haushalte gestiegen sind, stellt man eine Erosion der Kaufkraft fest».

Der Bericht zeigt auf, in welchen vier Bereichen die Politik die Weichen neu stellen muss. Interessanterweise hatten wir dies aus linker Sicht im Wesentlichen bereits mit dem ersten SP-Wirtschaftskonzept der frühen 1990er Jahre vorgezeichnet.

Hochpreis-Kartelle knacken

Der durchschnittliche Schweizer Haushalt bezahlte 2013 für einen durchschnittlichen Warenkorb gegenüber den 15 EU-Kernländer 41.4 Prozent und im Vergleich zu den kleinen EU-Staaten 16.9 Prozent mehr, und zwar vor Freigabe des Frankenkurses 2015. Dabei hält der Bericht klar fest: Die höheren Preise sind weniger Ausdruck eines hohen Lohnniveaus sondern einer hohen Kaufkraft in der Schweiz, die Produzentinnen und Händler abschöpfen. Teurer sind in der Schweiz insbesondere die Dienstleistungen und dann im Konsumbereich Wohnen, Lebensmittel und Freizeit.

Die höheren Preise sind weniger Ausdruck eines hohen Lohnniveaus sondern einer hohen Kaufkraft in der Schweiz, die Produzentinnen und Händler abschöpfen.

Der Bericht bestätigt die massive Kaufkraftabschöpfung gerade bei der Mittelschicht. Der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm geht aufgrund seiner Berechnungen davon aus, dass die Abschöpfung für die Unternehmen und Haushalte pro Jahr rund 20 Milliarden Franken ausmacht.

Folgende Schritte drängen sich auf:

  • Das Kartellgesetz muss endlich griffiger und konsequenter durchgesetzt werden. Die parlamentarische Initiative Altherr ist ein wichtiger Schritt dazu.
  • Die Einfuhr muss samt Rückerstattung der im Ausland bezahlten Mehrwertsteuer vereinfacht und darf nicht erschwert werden. Das gilt insbesondere für den Online-Handel.

Wer will, kann die Kartelle knacken. Spätestens im zweiten oder dritten Anlauf.

Freihandel für landwirtschaftliche Produkte

Bei den Lebensmitteln könnte ein Mittelschichtshaushalt gemäss Bericht im Vergleich zur EU monatlich zwischen 225 und 280 Franken im Monat sparen. Das machte bereits 2013 gut 3000 Franken pro Jahr. Das stärkt vorab die verfügbaren Einkommen der Lohnabhängigen und Rentnerinnen und Rentner mit kleineren Einkommen.

Der Weg ist klar: Es braucht den Agrar-Freihandel mit der EU. Die Ausklammerung der Nahrungsmittel aus dem Cassis-de-Dijon-Prinzip war ein klarer Fehlentscheid des Nationalrats. Er schafft grössere Hürden statt endlich die nichttarifären Handelshemmnisse aus dem Weg zu räumen.

Tiefere Krankenkassenprämien        

Die Studie zeigt die Belastung der Haushalte mit der Finanzierung der Krankenversicherung via Kopfprämien auf. Das belastet vor allem Haushalte ohne individuelle Prämienverbilligungen, die zudem in den Kantonen sehr unterschiedlich und aufgrund kantonaler Sparmassnahmen in Gefahr sind. Die Standard-Monatsprämie ist seit 1996 bis 2014 von 173 auf 396 Franken gestiegen. Das macht 4.7 Prozent pro Jahr bei einem durchschnittlichen Lohnwachstum (1996 bis 2013) von 1,2 Prozent. Die Nettobelastung beträgt je nach Kanton und Haushalteinkommen zwischen 5 und 16 Prozent und liegt damit weit über den von der SP maximal geforderten maximalen 10 Prozent.

Die beste Lösung wäre für die SP nach wie vor eine einkommensabhängige Finanzierung der Krankenkassenprämien über direkte Steuern. Doch selbst bei einer Finanzierung über die Mehrwertsteuer würden die Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen, vorab jene mit Kindern, entlastet. Die verfügbaren Einkommen erhöhten sich damit um 2‘670 bis 4‘870 Franken im Jahr.

Bodenfrage ist alles entscheidend

Mittelschichtshaushalte gaben rund 16 Prozent (2009 bis 2011) für die Wohnkosten aus. Das Wohnen belastet die Mieterhaushalte mit rund 19 Prozent weit stärker als Eigentümerhaushalte. Dort machen die Wohnkosten nur 12 Prozent aus. Weitaus am stärksten belastet sind die Mieter-Haushalte mit tiefen Einkommen (30%). Betrachtet man nur die Neumieten, so steigt die Haushaltbelastung massiv an: In den Zentren Zürich, Basel, Genf und Lausanne, in der gesamten West- und Südschweiz und vor allem in den touristischen Hot Spots. Die Mietzinsbelastung steigt hier generell auf 25 bis 30 Prozent des Haushalteinkommens. Im Rahmen der Lex Weber hat das Parlament leider die Möglichkeit verpasst, die Mieten wenigstens in den touristischen Hotspots in den Griff zu bekommen.

Das Wohnen belastet die Mieterhaushalte mit rund 19 Prozent weit stärker als Eigentümerhaushalte. 

Die Situation auf dem Eigentumsmarkt ist vergleichbar. In den Zentren und den touristischen Zentren kann sich ein Haushalt mit einem Medianeinkommen keine 4-Zimmer-Wohnung mittleren Ausbaustandards leisten.  

Der zentrale Kostentreiber sind die Bodenpreise. Hohe Bodenpreise verteuern den Kaufpreis und die Miete von Wohnungen. Das Problem stellt sich nicht nur in den Städten, sondern auch in den touristischen Gebieten. Wirksame Massnahmen sind dringend. Sich selbst steuernde Fahrzeuge verringern den Bodenverschleiss. Die Schweiz könnte bestehende Strassen zurückbauen und rund 6 Millionen Parkplätze aufheben. Man darf auf das Resultat der von mir ausgelösten Studie dazu gespannt sein.

Es braucht hier innovative Ansätze zur Lösung der Bodenfrage. Mittels Steuern kann man die Verflüssigung von eingezontem Bauland fördern. Oder dies sonst auszonen. Bei Einzonung ist die private Mehrwertabschöpfung durch Private zu begrenzen.

Kaufkraft der kleinen und mittleren Einkommen stärken

Die Zahlen sind auf dem Tisch. Dank Strukturwandel und einer europakompatiblen Politik kann die reale Kaufkraft der Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen gestärkt werden. Das vergrössert das Haushaltbudget einer Mittelschicht-Familie um rund 12‘000 Franken pro Jahr:

  • Freihandel mit landwirtschaftlichen Produkte entlastet die Haushalte um 3‘000 Franken
  • Die Zerschlagung der vertikalen Kartelle erhöht die Kaufkraft weiter um 5‘000 Franken
  • Die Finanzierung der Krankenkassenprämien über die Mehrwertsteuer macht weitere 3‘500 Franken aus.
  • Eine neue Bodenpolitik würde zeitverzögert die grössten Effekte generieren.

Nicht verschweigen darf man, dass der damit vorgezeichnete Strukturwandel die Zunahme von Arbeitsplätzen in der Schweiz dämpft. Mit höheren Löhnen und der Zunahme der Produktivität würden wir so auch die Anforderungen der Masseneinwanderungs-Initiative ohne Kontingente und EU-kompatibel lösen.

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