Kinder als Armutsrisiko

Die Schweizer Städte verzeichnen fast durchwegs einen markanten Anstieg von Sozialhilfefällen. Das wirft Fragen auf: Was sind die Ursachen für diesen Fallanstieg? Welche Wirkung erzielt die Sozialhilfe? Mit welchen Rezepten kann man Armut bekämpfen?

Der durch die Städteinitiative Sozialpolitik herausgegebene Kennzahlenbericht zeigt die Entwicklung der Sozialhilfe in 14 Schweizer Städten, in denen rund ein Viertel aller Sozialhilfebeziehenden in unserem Land leben. Neben dem allgemeinen Trend, dass im vergangenen Jahr in fast allen Städten ein gegenüber den Vorjahren stärkerer Anstieg der Sozialhilfefälle zu verzeichnen war, wurden erstmals auch Sozialhilferisiken nach Haushaltstyp erhoben. Hier zeigte sich, dass Kinder in der Schweiz nach wie vor ein Armutsrisiko darstellen. Insbesondere für Alleinerziehende – in 90 Prozent der Fälle sind dies Mütter. Bei alleinerziehenden Müttern unter 25 Jahren beträgt die Sozialhilfequote über 80 Prozent. Trotz dieser unerfreulichen Zahlen: Es ist erfreulich, dass die diesjährige Publikation auf breites mediales Interesse stiess – und so zu einer Versachlichung der Diskussion rund um Sozialhilfe beitragen kann.

Sozialtransfers halbieren die Armut

Die Sozialhilfe ist das letzte Netz in der sozialen Sicherung. Mit anderen sozialen Transferleistungen – Familienzulagen, Familienergänzungsleistungen, Arbeitslosenversicherung etc. – trägt sie erfolgreich zur Armutsbekämpfung bei und reduziert die Armut um mehr als die Hälfte, bei Haushalten mit Kindern gar um bis zu 75 Prozent, wie eine kürzlich publizierte Studie des Bundesamtes für Statistik ergab.

Dass die Sozialhilfequote, gerade in den Städten, steigt, hat vielfältige Ursachen: Junge Menschen, die den Weg in die Arbeitswelt nicht finden, die psychische und gesundheitliche Belastungen aufweisen, aber keinen Zugang zur IV erhalten; Arbeitnehmende ab 50, die ihre Stelle verlieren und auf dem immer anspruchsvolleren und anforderungsreicheren Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragt werden; Familien, die nicht genügend Einkommen generieren, um steigende Mieten und Krankenkassenprämien zu bezahlen; oder Menschen, bei denen ein Schicksalsschlag oder eine Veränderung der Lebenskonstellation – Trennung, Scheidung, Verwitwung – vorliegt und die nicht mehr über die Runden kommen.

Waadt als Vorbild für andere Kantone

Dort, wo vorgelagerte Systeme, etwa auf kantonaler Ebene, gezielte Unterstützungsleistungen für gefährdete Personengruppen vorsehen, ist eine Stagnation oder gar Reduktion der Sozialhilfequote zu beobachten. Etwa in Lausanne. Der Kanton Waadt kennt Familienergänzungsleistungen, Überbrückungsleistungen für Menschen, die kurz vor dem Pensionsalter stehen, oder auch Stipendien statt Sozialhilfe für Jugendliche. Bei Familien und alleinerziehenden Müttern wirken Angebote im Bereich der frühen Förderung wie auch gut ausgebaute und bezahlbare Kita-Plätze präventiv.

Gleichzeitig gibt es in Städten, etwa Basel, Bern und Biel, konkrete Programme für junge Mütter und Alleinerziehende mit dem Ziel, Ausbildungen nachzuholen oder Teilzeitarbeit zu finden, um nicht langfristig von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Und bei Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen, die in aller Regel dauerhaft in der Schweiz bleiben, ist es wichtig, dass man rasch mit nachhaltigen Integrationsprogrammen und Sprachkursen ansetzt.

Gerade bei den vorläufig Aufgenommenen hat ein letztes Jahr vom Bundesrat publizierter Bericht aufgezeigt, dass man diesen Status in dieser Form abschaffen muss, weil er integrationsbehindernd wirkt. Der Nationalrat hat einem entsprechenden Kommissionsvorstoss zugestimmt. Der Ball liegt nun beim Ständerat, wo die für die Integration zuständigen Akteure – Kantone, Gemeinden und Städte – demnächst bei der vorberatenden Kommission angehört werden uns sich unisono für diese überfällige Änderung aussprechen.

Intensivere Fallbetreuung in der Sozialhilfe zahlt sich aus

Genügend Ressourcen und frühzeitige, intensive Integrationsbemühungen – sei es in der Sozialhilfe oder besser noch vorgelagert – sind wirksam bei der Armutsbekämpfung und unterstützen das Ziel, dass die betroffenen Menschen wirtschaftlich selbständig werden. Dass sich dies übrigens auch für die Steuerzahlenden im wahrsten Sinne des Wortes auszahlt, hat eine von der Stadt Winterthur in Auftrag gegebene, wissenschaftlich begleitete Studie aufgezeigt: In einem Experiment konnte nachgewiesen werden, dass für jeden Franken, der in der Sozialhilfe in intensivere Fallbetreuung investiert wird, auf der anderen Seite 1.60 Franken weniger an Sozialhilfe ausbezahlt wird, insbesondere, weil die Betroffenen ihr Einkommen erhöhen können. 

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