Die Menschen in Hongkong inspirieren uns und spornen uns an. Sie stehen auf gegen einen viel mächtigeren Gegner. Realpolitisch gesehen, haben sie keine Chance. Aber realpolitisch gesehen, hatten auch die Werftarbeiter 1981 in Danzig keine Chance. Sie mussten sich von vernünftigen westlichen Liberalen anhören, sie befänden sich leider auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs. Heute scheint im liberalen Westen Einigkeit darüber zu bestehen, dass wir uns in die Vorgänge in Hongkong nicht einmischen sollten, um die chinesische Führung nicht zu provozieren. Für diese Liberalen scheint der Zugang zu chinesischen Märkten und chinesischen Investitionen wichtiger als fundamentale demokratische Werte.
In Hongkong kämpfen die Menschen für das, was auch uns am meisten bedeutet: Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Und sie sind nicht von den USA ferngesteuert, sie wollen lediglich ihr eigenes Schicksal selber bestimmen. Sie wollen eine Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk. Sie haben unglaubliche Disziplin gezeigt und gleichzeitig taktisch geschickt agiert, um das Momentum der Bewegung durch kalkulierte Eskalationen aufrecht zu erhalten.
In Hongkong kämpfen die Menschen für das, was auch uns am meisten bedeutet: Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie.
Sollen wir sie unterstützen? Können wir sie unterstützen? Die Antwort ist beide Male ja. Aber würde nicht die aktive Unterstützung des Westens zu einem massiven Eingreifen der chinesischen Regierung führen? Die Antwort auf diese Frage kennt niemand. Was wir aber wissen: Das Schweigen des Westens hat die massive Repression auch gegenüber den Ansätzen einer Zivilgesellschaft und einer freien Gewerkschaftsbewegung auf dem chinesischen Festland in keiner Weise verhindern können. Die chinesische Regierung interpretiert das westliche Schweigen nicht als Zurückhaltung, um den gegenseitigen Dialog und bescheidene Menschenrechtsverbesserungen zu ermöglichen. Sie weiss: Das Schweigen bedeutet, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit für den Westen Priorität hat.
Aber was können wir tun? Wir sind uns bewusst, dass Veränderung in Hongkong und auch in China von den Menschen dort ausgehen muss. Doch internationale Solidarität mit der Protestbewegung verhindert, dass sie von den Machthabern isoliert wird. Vor allem sollten wir den Menschen in Hongkong zuhören und ihnen bei uns eine Stimme geben. Universitäten, Parteien und Parlamente könnten Online-Konferenzen organisieren, um direkt zu erfahren, was in Hongkong geschieht. So würden die Menschen in Hongkong die Chance erhalten, direkt mit der Welt zu sprechen. Diese Menschen sind gescheit, und sie sind mutig. Sie sind pragmatische Radikale, die das Unmögliche versuchen, weil sie genau wissen, dass dies ihre einzige Chance ist, ihre aktuellen – eingeschränkten – Freiheitsrechte zu bewahren. Ihre Botschaft ist zentral für alle, denen Freiheit und Demokratie wichtig sind.
Während Putin rechte, antieuropäische Bewegungen unterstützt, während Trump einen „harten“ Brexit befürwortet, um das europäische Integrationsprojekt zu schwächen, und während das chinesische Projekt einer neuen Seidenstrasse erfolgreich Profit aus der Enttäuschung in vielen osteuropäischen Staaten zieht, befinden sich die entschlossensten Verteidiger_innen universaler Werte zurzeit am Hongkonger Flughafen. Wenn sie erfolgreich sind, wird dies Demokratiebewegungen weltweit beflügeln. Wenn sie unterliegen, wird dies die Demokratie überall schwächen. Die Proteste sind keine Angelegenheit der Hongkonger Lokalpolitik.
Die Wirtschaft im Westen muss wissen, dass sie ins öffentliche Kreuzfeuer geraten wird, wenn sie den Profit der Firmen höher gewichtet als die Rechte der Menschen.
Demokratinnen und Demokraten im Westen müssen Unternehmen dazu auffordern, ihr „business as usual“ zu stoppen. Die klare Botschaft an die Regierungen in Hongkong und in Beijing ist: Nicht die Demonstrant_innen, sondern die Repression beschädigt die florierende Hongkonger Wirtschaft. Wirtschaftsführer müssen es klar und deutlich sagen: Wenn sich die Regierungen in Hongkong und Beijing für Repression entscheiden, dann werden Investitionen aus Hongkong abgezogen. Wirtschaftliche Akteure im Westen müssen wissen, dass auch das Schweigen seinen Preis hat. Wem die Demokratie am Herzen liegt, muss die Finanzinstitute und multinationalen Konzerne dazu auffordern, jetzt Position zu beziehen. Die Wirtschaft im Westen muss wissen, dass sie ins öffentliche Kreuzfeuer geraten wird, wenn sie den Profit der Firmen höher gewichtet als die Rechte der Menschen.
Und die Regierungen der europäischen Länder müssen gegenüber der chinesischen Regierung Klartext reden: Wenn China nicht endlich bereit ist, die Stimme der Hongkonger Bevölkerung anzuerkennen, werden diplomatische und wirtschaftliche Konsequenzen die Folge sein. Die Menschen in Europa sind dazu aufgefordert, sich mit den Menschen in Hongkong zu solidarisieren und zu zeigen, dass wir ihre Werte teilen. Und wenn es zum Schlimmsten kommt, stehen wir in der Pflicht, die mutigen Demonstrantinnen und Demonstranten aus Hongkong als Flüchtlinge aufzunehmen.