Liberté dank Egalité

Rede zum 1. Mai 2015 in Münchenbuchsee (BE)

Vor vier Jahren war es, als der amerikanische Milliardär Warren Buffett realisierte, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. In einem Gastkommentar in der renommierten Zeitung «New York Times» schlug er vor, dass alle mit einem Jahreseinkommen von mehr als einer Million Dollar zusätzliche Steuern bezahlen sollen. Er schrieb, der Kongress würde Milliardäre wie ihn verhätscheln. Der heute 70 Milliarden schwere Buffet rechnete aus, dass er gerade einmal 17 Prozent Bundessteuern bezahle. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Mittelstand jedoch zwischen 33 und 41 Prozent. Buffett präsentierte damals Zahlen, welche bewiesen, dass die reichsten 400 Amerikaner immer weniger Steuern bezahlen. Diese Steuererleichterungen seien ungerecht, befand Buffett. Und er meinte, so könne es nicht weiter gehen.

Ich erinnere mich an die Reaktionen. Die Republikaner und auch die Reichsten der Reichen ärgerten sich masslos über den Nestbeschmutzer Buffett. Und die Demokraten trauten den Aussagen von Buffett nicht und sinnierten in unzähligen Kommentaren, was Buffett wohl im Schilde führe.

Ich war natürlich auch skeptisch. Doch mittlerweile glaube ich, dass es Warren Buffett mit seiner Aussage «Die Reichen sollen mehr Steuern bezahlen» ernst gemeint hat. Er hat realisiert, dass es nicht gut kommt, wenn die Reichen uneingeschränkt reicher werden und der ärmere Teil der Bevölkerung immer ärmer. Er hat wohl die Vorgänge in verschiedenen Ländern beobachtet, die Geschichtsbücher gelesen und weiss, dass zu viel Ungleichheit irgendeinmal zum Eklat führt.

Zur Revolution, wie vor gut 200 Jahren in Frankreich, als das aufgebrachte Volk die Feudalherrschaft einen Kopf kürzer machte. Nicht nur sinnbildlich, sondern mit der Guillotine. Die Auswirkungen der Französischen Revolution haben Europa und mitunter auch die Schweiz grundlegend verändert.

Revolution hat den Weg nach Übersee nicht gefunden

Liberté, Égalité, Fraternité. Das Motto dieser Revolution kennt jedes Kind, auch heute noch. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Leider hat die Revolution den Weg nach Übersee nicht gefunden. In den USA ist der Drang nach Égalité, nach der Gleichheit, nicht sehr verbreitet. Der Stärkere erhält mehr. Grenzen werden keine gesetzt. Die freie Marktwirtschaft steht über allem.

Doch eben, auch Warren Buffett hat jetzt erkannt, dass es so nicht weiter gehen kann. Weshalb er im hohen Alter einsichtig wurde, wissen wir nicht. Vielleicht schwant ihm Böses und er hat Angst oder zumindest Respekt davor, dass die Ungleichheit von der Bevölkerung auch in den USA irgendeinmal nicht mehr akzeptiert wird. Nur so ist Warren Buffetts Vorschlag, dass Reiche mehr Steuern bezahlen müssen, zu erklären.

Die Schweiz und Europa entfernen sich von der Égalité

Ein riesiger Unterschied zwischen Arm und Reich, so glaubt man, sei in Europa Geschichte. Denn hier hat die Französische Revolution die Einsicht gebracht, dass die Freiheit nur mit einer gewissen Gleichheit zu erreichen ist. Schön wär’s.

Nirgendwo auf der Welt sind die Reichen reicher als in der Schweiz. Der Reichtum ist in der Schweiz auf sehr, sehr wenige verteilt. Heute besitzen die reichsten Zehntausend mehr, als 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zusammen. Oder anders gesagt, würde das Vermögen in der Schweiz auf alle gleichmässig aufgeteilt, hätten alle Schweizerinnen und Schweizer 400‘000 Franken auf dem Konto.

Heute besitzen die reichsten Zehntausend mehr, als 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zusammen. 

Und – die neuste Statistik der 300 Reichsten in unserem Land zeigt: Die Reichen werden immer noch reicher. Wer Kapital hat, hat auch die Möglichkeit, gewinnbringend zu investieren. Häufig haben die Reichsten ihr Geld in Firmen investiert, halten also Aktien und verdienen wie auch in diesem Jahr kräftig Geld – steuerfrei versteht sich. Denn eine Börsensteuer kennt die Schweiz nach wie vor nicht.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich also auch in der Schweiz immer weiter. Zwar nicht so stark wie in den USA, aber dennoch. Wer hat, dem wird gegeben.

Die Erbschaftssteuer ist eine gerechte Steuer

Um diesen Trend zu stoppen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Über eine stimmen wir am 14. Juni ab. Die Reichsten sollen, wenn sie die Milliarden ihrer Eltern erben, an alle etwas abgeben, damit die Schere zwischen Reich und Arm nicht noch weiter auseinander geht. Das ist die Grundidee der Erbschaftssteuer.

Viele Argumente gegen diese Idee haben sich in Luft aufgelöst. Die Erbschaftssteuer sei KMU-feindlich und bedeute das Ende vieler Familienunternehmen, hiess es etwa. Fakt ist, die Initiative sieht auf dem Wert der Familienunternehmen einen höheren Freibetrag und einen tieferen Steuersatz vor. Wo genau diese Grenze sein wird, kann das Parlament festlegen. Denkbar wären zum Beispiel ein Freibetrag von 50 Millionen Franken und ein Steuersatz von 5 Prozent. Damit würden 99 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen von der Steuerpflicht befreit.

Ins Feld geführt wird oft auch, dass die Gelder, welche vererbt werden, bereits einmal versteuert worden sind. Dem ist in den meisten Fällen eben gerade nicht so. Denn Reiche verdienen ihr Geld primär mit Gewinnen auf Beteiligungen, sprich mit Aktien. Und solche Gewinne werden in der Schweiz noch immer nicht versteuert. Eine Börsensteuer wäre längst angebracht. Die SP kämpft seit Jahren für eine solche Steuer.

Liberté dank Égalité

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur UNO-Resolution vom 10. Dezember 1948 steht im Artikel 1: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Geschwisterlichkeit begegnen». Was so viel heisst wie: Alle Menschen haben dasselbe Recht auf Freiheit. Die Freiheit des einen kann allerdings nicht zu Lasten der Freiheit anderer gehen.

Noch einmal in andern Worten: Liberté gibt es nur mit Egalité. Um die Freiheit aller zu gewährleisten, braucht es eine gewisse Gleichheit. Das haben nicht nur die Revolutionsführer vor gut 200 Jahren begriffen, sondern, so scheint es, nun auch die Superreichen in den USA wie Warren Buffett.

Liberté gibt es nur mit Egalité. Um die Freiheit aller zu gewährleisten, braucht es eine gewisse Gleichheit.

Warren Buffet würde für die Erbschaftssteuer stimmen

Wäre er in der Schweiz stimmberechtigt, würde er für die Erbschaftssteuer stimmen, da bin ich mir sicher. Denn auch er hat realisiert, dass sich die Schere zwischen Reich und Arm nicht unendlich weit öffnen lässt.

Warren Buffet ist nicht stimmberechtigt. Ihr aber schon. Ich bitte Euch deshalb alle: Sagt am 14. Juni JA zur Erbschaftssteuer. Ihr stimmt so nicht nur für etwas mehr Gleichheit, sondern auch für mehr Freiheit. 

 

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