1. Zu den Working Poor
Im McDonalds-Konzern in den USA brauchen Mitarbeitende einen zweiten Job, um den Lebensunterhalt zu finanzieren. Working Poor nennt sich dieses Phänomen. Von den USA haben wir nicht nur den Begriff, sondern auch das Phänomen übernommen.
Im Land der unbeschränkten Möglichkeiten herrscht „Marktfreiheit“, also ein vollständig liberalisierter Markt ohne Mindestlöhne. Dafür sind die sozialen Ungerechtigkeiten und Armut umso greifbarer. Ist es nötig und ist es richtig, Löhne zu zahlen, die nicht existenzsichernd sind?
In der Schweiz entsteht eine neue Klasse Menschen: die „Working-Poor“. Besser kann der Arbeitswille dieser Menschen wohl kaum zerstört werden. Es gibt sogar Arbeitgeber, die ihre Angestellten auffordern, aufs Sozialamt zu gehen. Das ist entwürdigend.
Als ehemalige Budgetberaterin weiss ich, wovon ich spreche. Personen, die am Arbeitsplatz hart arbeiten, müssen oft und trotz ihres bescheidenen Lebensstils an das Sozialamt verwiesen werden. Diese Leute werden in ihrem Stolz verletzt und sie verlieren ihren Lebensmut. Sie fragen sich, ob sie in dieser Gesellschaft überhaupt einen Platz haben. Sie würden wohl am liebsten von einer Brücke springen – aber was sie ganz sicher tun, sie schmeissen ihre Arbeit hin. Von Drittweltländern fordern wir Fair-Trade-Bedingungen – warum sind bei uns existenzsichernde Löhne nicht längst eine Selbstverständlichkeit?
2. Die Wirtschaft profitiert von der Sozialhilfe
Bei jeder arbeitsrechtlichen Forderung – auch jetzt beim Thema Mindestlöhne – stimmt der gemischte Wirtschaftschor das immer gleiche Drohlied an: Arbeitsplätze seien gefährdet, Unternehmen würden ins Ausland abwandern. Frage: Wem helfen Arbeitsplätze, wenn die Menschen nicht davon leben können? Ist unsere Wirtschaft tatsächlich darauf angewiesen, fast zehn Prozent ihrer Arbeitnehmenden Löhne unter dem Existenzminium zu zahlen?
Die Wirtschaft wehrt sich meist sehr heftig gegen Eingriffe des Staates. Im Fall der „Working Poor“ wird sie aber zur Nutzniesserin der Sozialhilfe, indem die ungenügenden Lohnzahlungen ausfinanziert werden müssen. Die Sozialhilfe wird damit für die Stützung von Strukturen benützt und subventioniert direkt die Wirtschaft. Mindestlöhne können solche Fehlentwicklungen korrigieren.
Sogar der Staat macht aus Spargründen Druck auf die Löhne. Um im interkantonalen Vergleich zu bestehen, wurde im Kantonsspital Schaffhausen das Reinigungspersonal ausgelagert. Das Reinigungspersonal wurde in der Folge nicht mehr nach kantonalem Reglement bezahlt. Die Löhne sind jetzt um einiges tiefer, das Spital kann Kosten sparen. Bei der Sozialhilfe hingegen steigen die Kosten an. Beenden wir diesen unsinnigen Lohndruck-Wettbewerb.
3. Arbeitslosigkeit steigt nicht an wegen existenzsichernden Löhnen
Unternehmen, die Arbeitsplätze auslagern wollen und können, haben dies bereits getan oder werden das sowieso noch tun. Die Unternehmen verabschieden sich generell immer mehr aus ihrer finanziellen Verantwortung gegenüber dem Staat. Im Kanton Schaffhausen zahlt die Mehrheit der Firmen keine Steuern mehr. Produzieren diese Unternehmen gleichzeitig zu Billiglöhnen, dann frage ich nach dem volkswirtschaftlichen Nutzen. Nach der Logik, dass tiefe Löhne Arbeitsplätze schaffen und Mindestlöhne zu Arbeitslosigkeit führen, müsste in Rumänien und Moldawien Vollbeschäftigung herrschen. Das Gegenteil ist wahr: Mit existenzsichernden Löhnen steigt die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung. Dadurch entstehen neue Jobs.
Low pay is not ok.
Unsere Wirtschaft muss existenzsichernde Löhne zahlen können. Wir dürfen der Wirtschaft nicht mit Sozialhilfegelder Strukturhilfe geben. Alle Beschäftigten haben Anrecht auf ein Leben in Würde. Die freie Marktwirtschaft regelt das Problem nicht selber. Deshalb JA zu Mindestlöhnen.