Man kann Feministin und Muslimin sein!

Porträt der Aargauer SP Nationalratskandidatin Alime Kösecioğullari, erschienen in der Aargauerzeitung vom 24. September 2019

Die Seonerin Alime Kösecioğullari will für die SP in den Nationalrat. Von Hasskommentaren lässt sie sich nicht stoppen.

Die erste Frage an Alime Kösecioğullari liegt auf der Hand: Wie spricht man ihren Namen aus? «Ich weiss, dass mein Name kompliziert auszusprechen ist», sagt die 58-Jährige – (es wäre ungefähr: «Köse-tschi-oularé») – und wechselt bald auf das «Du». Sie habe sich tatsächlich überlegt, ihren Namen für den Wahlkampf auf «Köse» abzukürzen. «Das wäre dann aber nicht mehr ich. Die Menschen, die mich wählen möchten, werden das trotz meines langen Namens machen. Die anderen würden mich auch mit einer gekürzten Variante nicht wählen.» Alime Kösecioğullari kandiert auf der Liste der SP Aargau für den Nationalrat. Als 10-Jährige kam sie von der Türkei in die Schweiz. Fürs Bild posiert sie vor dem Haus, in dem sie bei ihrer Ankunft vor über 40 Jahren in Seon wohnte. «Mein Vater war schon drei Jahre in der Schweiz, bevor der Rest der Familie folgte. Hier in der Schweiz hatte ich das erste Mal ein eigenes Zimmer, das mein Vater mit einigen Puppen hergerichtet hatte. Ich war überwältigt.»

Kontaktgruppe gegen Vorurteile

Die Eltern verliessen die Schweiz vor 20 Jahren und kehrten in die Türkei zurück. Alime Kösecioğullari blieb in Seon. «Ich ging hier zur Schule und arbeitete später in der ‹Wäbi› als Textilarbeiterin.» Eine Ausbildung habe sie nicht absolviert, was sie heute bereue. «Ich wurde aber intern zur Atelierleitung befördert», erklärt sie stolz.

Alime Kösecioğullari ist Mitgründerin der Kontaktgruppe «Christen-Muslime». «Die Gruppe habe ich aufgrund der Anschläge vom 11. September 2001 gegründet. Mit den Anschlägen kam auch die Angst vor dem Islam. Was man nicht kennt, macht einem Angst. Mit der Gruppe wollte ich die religiösen Vorurteile abbauen und Brücken zwischen den Kulturen bauen», so die Mutter von drei Söhnen.

Das Konzept war ein Erfolg: «Anfangs wollten wir eigentlich nur drei Abende organisieren, um einen Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen zu schaffen.» Da die Treffen sehr gut besucht wurden, veranstaltet die Gruppe noch heute jährlich einen Anlass. Kösecioğullari ist zudem Mitgründerin des «Grüezi-Treff» in Seon. Alle 14 Tage treffen sich Frauen verschiedener Kulturen, um gemeinsam Zeit zu verbringen. «Wir backen, waren mit einem Experten im Wald auf Pilzsuche und machen vieles mehr.» Die Seonerin ist seit 15 Jahren Mitglied der SP und Co-Präsidentin der SP Aargau MigrantInnen, im Vorstand der SP Bezirk Lenzburg und der SP Region Seetal.

Alime Kösecioğullari hat seit dem Jahr 2001 den Schweizer Pass. «Wir haben damals unsere drei Söhne gefragt, was sie von der Idee halten. Sie waren begeistert.» Im Nationalrat will sie sich unter anderem für die Integration einsetzen. «Es ist wichtig, dass die Migranten sich hier in der Schweiz einbringen. Wir sind hier und sollen auch mitbestimmen und mitgestalten.» Dafür brauche es aber auch vonseiten der Migranten eine gewisse Öffentlichkeitsarbeit.

Nicht nur die Migranten sind ihr wichtig, sondern das friedliche Zusammenleben aller Menschen. «Ich denke, ich habe die Toleranz gegenüber anderen Kulturen von meinem Vater übernommen. Wegen ihm mussten wir zum Beispiel jede Woche ‹Das Wort zum Sonntag› sehen.» Auch ihren Kindern hat Alime Kösecioğullari die Liebe zu beiden Kulturen weitergegeben. «Als sie noch klein waren, habe ich immer an einem Tag türkisch gekocht und am nächsten ein Schweizer Gericht. So hatten wir immer Abwechslung.»

Jederzeit zum Diskutieren bereit

Alime Kösecioğullari ist praktizierende Muslimin, trägt aber im Alltag kein Kopftuch. «Ich habe das so für mich entschieden, respektiere aber auch jede Frau, die ein Kopftuch tragen möchte. Man kann Feministin und Muslimin sein.» Seit ihrer Kandidatur hat Kösecioğullari vor allem in den sozialen Medien neben Zuspruch auch viele Hasskommentare erhalten. Stoppen wird sie das jedoch nicht: «Ich kämpfe dafür, dass meine Enkel in Zukunft nicht mit dem Rassismus konfrontiert werden, den ich jetzt erfahre.» Die Konfrontation hat die 58-Jährige nie gescheut. So ging sie zum Beispiel vor der Anti-Minarett-Abstimmung zur Generalversammlung einer SVP-Ortspartei. «Ich wollte sehen, wie die Menschen dort ticken und wieso sie so denken.» Für Diskussionen und andere Meinungen sei sie immer offen: «Mein Sohn ist bei der FDP, ich weiss also, was es heisst, nicht derselben politischen Meinung zu sein», erklärt sie lachend.

In Alime Kösecioğullaris Brust schlagen zwei Herzen: «Ich liebe die Türkei und meine Familie, die zum Teil noch dort wohnt. Aber meine Heimat ist die Schweiz, die ich liebe, hier lebe ich und hier will ich etwas bewirken.»

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